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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 7 (Aprilheft 1927)
DOI Artikel:
Reisner, Erwin: Über die kulturphilosophische Bedeutung der Psychoanalyse
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0038

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Über die kulmrphilosophische BedeuMng der
Psychoanalyse

Von Erwin Reisner

^V^on den ursprünglich rein spezialwissenschaftlichen Theorien der letzten Jahr-
^-^zehnte hat sich keine einzige so schnell und so gründlich das Jnteresse der
Allgemeinheit zu erobern gewußk wie die sogenannte Psychoanalyse des zwei-
sellos genialen Wiener Nniversitätsprosessors Siegmund Freud. Die streng
wissenschastliche, sowie die mehr populär gehaltcne Literatur über dieses Thema
ist heute schon Legion. Jn dickleibigen Bänden und schmalen Broschüren wogt
der Kamps zwischen Anhängern und Gegnern noch immer hin und her, und
dem Versasser eines verhältnismäßig kurzen Aussatzes wäre es natürlich auch
dann völlig unmöglich, sich mit dieser Literatur auseinanderzusetzen, wenu er
sie übersehen könnte. Wir werden uns daher hier lediglich aus eine knappe
Charakterisierung der Freudschen Lehre und aus ihre Einordnung in das
kulturgeschichtliche Gesamtbild unserer Zeit beschränken müssen.

Ihre außerordentliche Popularitäk verdankt die Psychoanalyse selbstverständlich
nicht ihren Beziehungen zurPsychopathologie, nach welchen sie eine lediglich ein-
zelwissenschastliche Ängelegenheit bleibt, sondern ihren weltanschaulichen, ihren
metaphysischen und weltsinndeukerischen Grundlagen oder Hintergründen. Und
zwar sind diese Hintergründe solcher Art, daß sie den geistigen Bedürsuissen der
Epoche irgendwie entgegenkommen, also, ähnlich etwa wie im ig. Iahrhundert
die Entwicklungslehre Darwins, als Erlösung aus der unwahr gewordenen,
weil erstarrten Dogmatik der unmittelbar vorhergegangenen Geistesperiode emp-
sundenwerden. Über ihre eigene Wahrheit oder Unwahrheit soll damit natür-
lich noch nicht entschieden sein. Die weltanschauliche Deutnng der Psychoana-
lyse wurde im übrigen schon durch Freud selbst angeregt, indem er, wie wir
später noch sehen werden, mit Hilse seiner Thesen uralte kultur- nnd geschichts-
philosophische Probleme zu lösen versuchte.

Die Psychologie, dieses Laster des ausgehenden ig. Iahrhunderts, schlägt in
der Psychoanalyse zur Metaphysik um, und zwar gerade deshalb, weil diese
den Gipfel aller Psychologie überhaupt darstellt, d. h. weil sie lehken Endes
sich vermißk, sämkliche Erscheinungen, soweit sie menschlicher Natur sind, psycho-
logisch zu erklären. Sie ist ein absoluker Abschluß und hat eben als solcher
bereits den Keim zur Überwindung ihres eigenen tragenden Prinzips in sich.
Gewiß ist auch die Psychoanalyse ihrer bewußten Einstellung nach durchaus
unmetaphysisch, ja geradezu antimetaphysisch, und das heißt hier vor allem
auch antireligiös. Sie bleibt insosern reine Psychologie. Aber gerade
indem sie sich den metaphysischen und religiösen Fragen gegenüber nicht nur
absehend verhälk, sondern an ihre Skelle die psychologische Frage nach der
Bedingtheit religiöser und metaphysischer Vorstellungen seHt und diese
Art, das Problem zu formulieren, konsequent zu Ende führt, wird sie selbst
negative Metaphysik. Man kann nichks verneinen, ohne sich gleichzeitig aus
die Ebene des Verneinten zu begeben. Wer sich, sci es in welcher Weise immer,
gegen Gott empört, ihn etwa aus psychologischen Kategorien abzuleiten sucht
und seine Realität damit in Frage stellk, der bejaht gleichzeitig den Teufel, auch

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