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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1927)
DOI Artikel:
Thormann, Werner E.: Das Theater in der kulturellen Krise der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0332

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persönlrche Lerstrrng gelten zu lassen, erfüllen kann, ohne besondere gerstige
Ansprüche zu stellen. Und schließlich an den Alltag selber, der uns mit einer
Fülle des EreignishasLen, dem GeLrrebe der Großstadk, der Schnelligkeik
des Verkehrs, den inLeressanLen Gebilden der Maschinen, den Reizen der
Reklame, der Reporkage der Zeikungen umgibt. Dazu nehme man die wach-
sende Verselbständigung einzelner Grenzformen des TheaLers (Revue, VarieLe,
OpereLte), die IiiLensivierung des Vergnügens (Kasteehaus und Tanzlokal), die
MöglichkeiLen des privaten KomforLs, die heuke auch dem MinderbemiLLelLen
gegeben sind. Kurz: eine Fülle der Bedürfnisse nach AußerordenLlichem, die
srüherc Generationen eigentlich nnr im Theater ersüllen konnLen, läßk sich
heute an anderen Stätten besriedigen.

Eine geistesgeschichLliche Bekrachkung sührk uns zugleich in den Zusammen-
hang des TheaLers mit der allgemeinen KulLurkrise der Gegenwart. Das
srühere Theaker war Ausdruck der Kulturgemcinschask. Zn unserer Zeik der
Wende haben wir weder Kulkur im alten Sinne, noch GemeinschafL. Man
hat bisher viel zu sehr mik abstrakken, geschichksphilosophischen Erklärungs-
versuchen an dieser Taksache gedeuket. llroch vor wenigen Jahren war es
Mode, das ganze neuzeikliche Theaker bereiks als einen Absall vom Sinne
zu sehen. Dern Individualismus wurde alle Schuld gegeben. Nur das
anlikc und mitkelalterliche Theaker ließ man als Bühne der Kulkurgernein-
schast gelken. Mit dem Ausbruch des Menschen aus der Glaubenseinheik des
MiLLelalkers, die alle Dinge aus einen gemeinsamen Sinn hin ordneke und
jede Erscheinung des Lebens nur gelken ließ, soweit sie bereik war, diesem
Sinn zu dienen und die festgesehken Grenzen der ÄLerte anzuerkennen, sei das
Gemeinschafkstheater unmöglich geworden. Diese Abstrakkion ignorierk die
WirklichkeiL der Blükezeiken neuzeiklichen Theakers, ignorierk die Taksache,
daß auch die Renaissance und die Zahrhunderke nach ihr immer wieder die
gesellschaskliche Erscheinung hervorgebrachk haben, die wir Kulkur nennen.
Gewiß lockerken sich die Zusammenhänge, an die Skelle der gemeinabend-
ländischen Ordnung Lraken die NntionalkulLuren. Aber es muß genügen, Na-
men wie Barock, Rokoko, Aufklärung, Sturm und Drang, Klassizismus nnv
Romantik auszusprechen, um sür große gcistige Bewcgungen Zeugnis zn
geben, die den Zivilisakionsraum Europas zu ihrer Zeik erfüllken und auch
in der Kunstsorm des Theakers einen Ausdruck fanden, der allen Volksschich-
ken, die als Kulkurkräger in all diesen Epochen in Frage kommen, selbstver-
ständlrch und gemeinsam war.

Erst im Lause des neunzehnten IahrhunderLs setzt jene Enkwicklung ein, sür
die wir nnr ei'ne geschichkliche Enksprechung kenncn — sreilich auf ungleich
kleinerem Raume — in der Zeit der zu Ende gehenden AnLike: die Entwicklung
zur Weltzivilisakion. Sie wird beherrschk von zwei Mächten, die sich ergän-
zen und bedingen: dem Geld, das nichk mehr Tauschmitkel sondern selbständiger
Werkmaßstab ist, rmd der Maschine, die vom Werkzeug zur crgenkäkigen Er-
zeugung und Verbindung von KrafL und Arbeik weitergebildek wurde. Im
Zeitalker der kapikalistischen Produkkionsordnung und der Industrialisicrnng,
im Zeitalter der iWelkwirkschask und des iWelkverkehrs niußken alle kulkurel-
len Tradikionen, und mit ihnen das Theater, in das Zeichcn der Krise LreLen.
Dic materiellen nnd geistigen Voraussetzungen der Kultnr haben sich verwan-

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