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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1927)
DOI Artikel:
Grunsky, Karl: Über den musikalischen Rhythmus
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0337

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Das Leben verlangt, daß wir uns bei gemeinsamem Vorhaben über gewisse
Zeitpunkke verständigen. Hiezu stehen uns im 2luf- und Untergang der Ge-
stirne äußere Merkmale zur Verfügung, oder, da es zu umftändlich ist, alle
Teilpunkte des Tages nach ihren Bahnen zu bestimmen, — die Uhr, der Zeit-
messer, der Tag und Nacht in kleine, gleich lange Teile zerlegt. Das Schreck-
gespenst des musikalischen Metronoms! Er gibt den Rhythmus als Verlauf
kleinfter Zeitteile. Je nach Bedürfnis regeln wir den Abstand der Zeitpunkte:
die Schläge folgen einander rascher oder langsamer. Dres ist jedoch der wahre
Rhythmus noch nicht, da wir die Zeit wohl messen, aber noch nicht werten.
Musik entsteht erst, wenn wir einzelne Zeitpunkte aus der Gleichheit heraus-
heben.

Hier wäre nun denkbar, daß die Ilngleichheit ohne jede Regel verliefe. Viel-
leicht ist dies auch der Gedanke manches heutigen Musikers, der die Fessel
des Rhythmus abstreifen oder sprengen möchte. Eine melodische Linie müßte
dann so gebaut sein, daß ein Ton den andern jeweilig nach verschiedener Zeit
ablöste. Man könnte auf einzelne Beispiele bisheriger Musik verweisen, die
scheinbar für eine ganz ungleichmäßige Zeitfolge der Rrotenwerte sprechen.
Etwas Grundsätzliches läßt sich aber daraus nicht ableiken. Es bleibt doch bei den
alten Erfahrungen, die abzuändern in keines Macht steht. Wenn wir nämlich die
Zeitwerte auch nicht im einschläfernden Gleichmaß des Regentropfens oder des
Metronoms brauchen können, so sind wir doch darauf angewiesen, den eindruck-
gebenden Zeitpunkten nach einem bestimmken Maße zu folgen, das heißt ihren 2lb-
stand wiederum anszugleichen. llnserBewußtsein faßt je eine kleineZahl alsEin-
heit, nach der sich die Wahrnehmung regelt. Welche Zahlen liegen nun allein
dem Rhythmischen zugrunde? Keine anderen als die höchst unschuldigen Ein-
heiten von Zwei und Drei. Entweder im ersten, drikten, fünften, oder im
erften, vierten, siebenken Zeitpunkk denken wir einen 2lnfang, ein beginnendes
Teilgefchehen. Die Sache ist für den Laien, für den Ausübenden und für
den Nnchdenksamen gleich wichtig. Hier ift Leben und Logik gar nicht zu
Lrennen. Es handelk sich um die llrkatsachen aller rhythmischen Gebarung.
Die verschiedenen Begabungen, Richtungen, Parteien mögen den Rhythmus
noch so verschieden auswerten: was die Nakur vorzeichnet, ist nicht zu umgehen.
Diese llrtatsachen sind deshalb merkwürdig, weil sie zwei Widersprüche ver-
einigen: die Bewertung nach einem Merkmal, und die Folge nach festem
Maß. Es entsprichk einem tiefen seelischen Bedürfnis, die Vorgänge alles
Geschehens, und so auch des musikalischen, nach Haupteindrücken zu ordnen.
Wir heben unwillkürlich heraus: wir betonen. Während wir aber beim
äußeren Geschehen ganz abhängig sind von einer unregelmäßigen Folge, er-
warten wir von der Musik das feste Gleichmaß einer wiederholken Betonung.
llnd zwar zählen wir enkweder je zwei, oder je drei Zeiken ab, bis sich Be-
tontes wieder einstellen soll. Diese innere musikalische 2lnschauung liegt so
tief nakurgegeben in unserm Geifte, daß die einfachsten und mannigfalkigften
Gebilde ihren Sinn daraus erhalken. Bis zu den höchsten Formen der Sonate
oder Symphonie, bis zn dcm von 2llfred Lorenz aufgezeigtenBaudesmusikalischen
Dramas bleibt die 2lnschauung von Zwei und Drei die maßgebende. Jm Parsifal-
Vorspiel steigt zunächst je zweimal die 2lbendmahlmelodie vor uns auf. Jm
Schlußteil, der sie durchführt, rückt sie nach zweimaligem 2lnsah beim

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