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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1927)
DOI Artikel:
Reisner, Erwin: Protestantische Religiosität und philosophische Erkenntnis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0345

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ProLesianLische ReligiofiLäL und philosophische

ErkennLnis

Von Erwin Reisner

^ür den oorliegenden Beikrag zur Theologie öer Krijls
oerweisen wir auf Trentinis Gogarten-Aufsatz im Maiheft
des KunstwartS, sowie auf unsern Umschauartikel „Neuere
GeschichtSmetaphysik". Um Mißoerftändnifsen vorzubeugen,
sei bemerkt, daß wir ReisnerS Anschauungen nicht in vollem
Umfange teilen.

^^as so peinlich lauke Gerede von neuer Religion und neuer ReligiosiLät
'^-^zwingt jeden, der sich wirklich ernsthafL miL dem Problem ausein-
anderseHen will, zu größter VorsilhL und Zurückhaltung. Vor allem muß
darüber KlarheiL herrschen, daß dieses ganze Gerede sich um vage und meisl
erlogene RealiLäLsbehaupkungen im Hinblick auf ein bloßes Wunschgebilde
drehk und daß selbst die Ehrlichkeit des Wuusches in den meisten Fällen
äußerst zweiselhaft bleibt. Die Religion soll entweder in den Dienst mehr
odcr weniger problematischer Zwecke gestellt oder bestenfalls zum beschau-
lichen RuheplaH sür den geheHLen Gegenwarksmenschen entwürdigt werden.
Unsere Religiosikät, sowcit sie überhaupt Beachtung verdienk, ist aber meist
nicht konkret lebendig, nicht Glaube, sondern nur Glaubenssehnsucht,
Glaubensbedürstigkeit, das Bewußtsein von etwas durchaus Negativem, von
dcm keinesfalls behaupket werden kann, daß es auch schon der erste Schritt zu
einem Positiven sei. Wir können nichk mehr zurück zu irgendeiner religiösen
Form, die schon einrnal bestanden hat, sondern müssen die Periode dcr Rcli-
gionslosigkeit, durch die wir hindurchgegangen sind, als sormbestimmend für
jede künftighin mögliche Religiositäk mit in Kauf uehmen. Ja es darf sich
nicht einmal darum handeln, dem heutigen Menschen Wege zum Glauben zu
zeigen. Auch das wäre schon ein Mißverständnis. Was sich zeigen läßt, ist
viclmehr uur die uncndliche Ferne vom Glauben. Und in den Kreis der
Glaubensfernen hat sich selbstverständlich auch der Zeigende selbst mitcinzu-
schlicßen.

Weit über alle die unzähligen und vielfarbigen Apostel religiöser Erneue-
rung, neuer Kirchengründungen, Kirchenvereinigungen und Gemeinschaften
ragt die Gruppe der Theologen um Karl Barth empor: Gogarkcn,
Thurneysen, Emil Brunner usw. Es ist das Verdienst dieser Män-
ner, immer und immer wieder nachdrücklichst darauf hingewiesen zu haben, daß
Religion für uns nicht Lebensförderung bedeuken könne, sondern nur nmgekehrt
radikalste Infragestellung und Krisis dieses Lebens überhaupt. Hier wird mit
unerbittlicher Konsequenz die Forderung erhoben, zusammenzubrechen und auf
alle objektiven Zwecke zu verzichten, auch auf die feinsten Gespinste einer
idealistifchen Ethik. Aus der ganzen geistigen Situakion unserer Epoche erklärt
sich die Schärfe des Angrist'es, weniger gegen den Katholizismus als gegen die
Mystik und den Pietismus und wcniger mit Luther gegen „Frau Klügelin, dic
kluge Hur" als gegen die irrationalistische Lebensphilosophie. Selbstverständ-
lich wird aber auch die rein verstandesmäßige Philosophie, sofern sie mit dem

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