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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Zur soziologischen Umwandlung der Familie
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0404

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Zur soziologischen Umwcmdlung der Familie

Von Ernst Michel

I.

ie Auflösung der Familienordnung und die Lockerung der ehelichen Bande,

'^-^beide heuke in rapider Zunahme, werden allgemein als eng zusammen-
hängende Symplome des Verfalls gedeukek. Und doch ist dem nichL so. Fn
WirklichkeiL ist nur die bisherige Familienordnung — als BestandLeil der al-
Len geschichLlichen Volksordnung — der Auflösung verfallen, die Ehe aber nnr
insoweiL, als sie dieser geschichLlichen Familienordnung hörig oder von ihr ge-
halLen war. Es ringL sich aber ganz deuLlich gegenüber der Lockerung dieser
samilienhasL bestimmLen und geordneLen Ehe in unserm GeschlechL eine
neue Lebensform der Ehe durch, die den eigenen WerLgehalt und die eigcne
StrukLur der Ehe rein auszuprägen bestrebt ist. Die Ehe löst sich aus der
eugen Verbindung mit der geschichtlichen Familienform los und ringt zum er-
sten Mal um die Lebenssorm, die ihrem Wesen entsprichL. Dazu war das
19. ZahrhundcrL mit seiner EmanzipaLion und Berselbständigung der psychi -
schen Grundlage der Ehe nur übersteigerte Vorstufe. DamiL wird die Ilntcr-
scheidung von Ehe und Fannlie als zwei selbständige GemeinschasLs-
sormen von kiefer geschichklicher BedeuLung für unsere Zeik, die Zeik des
Übergangs und des Anbruchs.

Anders ausgedrückt: die Ehe, bisher wesentlich gestüHk auf und durch die
natürliche, volkhafte Familien- oder Sippenordnung, ist nunmehr auf ihre
eigenen Ursprungskräste angewiesen; d. h. aber aus die Ausprägung ihres
religiösen Kernes, ihres sakramentalen Charakters. Die von der Kirche
bisher gegen die Zeiten und ihre Ordnungen behaupkete Lehre von der Ehe
als SakramenL Lritt heute i n der Zeit als „össentliches Geheimnis", als ge-
schichtlich wirkende MachLhervor. JhreZenkrierung um die Pole „Person und
Glaube" wird entscheidcnd erfaßt. Die personale Gleichstellung von Mann
und Frau wird für die Ehe um so grundlegender, je mehr sie, auf ihre eigene
Krast angewiesen, zu einer existentiellen, aus dem Personkern stammenden
GlaubensenLscheidung wird, die Läglich der Erneuerung bedars. Es
ist dieses personale Za des Glaubens, das nunmehr einzig diese konkrete
ZweisamkeiL der GeschlechLsliebe zwischen diesem Mann und diesem
Weib stifteL, enLfalteL und erneuert, da alle geschichklichen Ordnungeu, iu die
die Ehe bisher hineingestellL und von denen sie umhegk und gehalten war,
kraftlos geworden sind und endgültig versagen. Es ist ganz unzweifelhaft,
daß es inmikLen der Auflösung unsrer Tage bei dem Ringeu um „ein neues
Berhältnis der GeschlechLer" um dieses religiöse VerhälLnis geht, das in
der Ehe seine sakranientale Lebensform gewinnt. Ilnd deshalb handelk es sich
bei der Auflösung der Familienordmmg und der Krise der Ehe um zwei ganz

Septemberheft 1927 (XXXX, 12)

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