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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1927)
DOI Artikel:
Scherber, Paul Friedrich: Formen der Musikbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0415

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lich zu wehren haben. Das wird ihr mehr und mehr glücken, wenn es ihr
gelungen sein wird, ihre noch in den Anfängen steckende Disferenzierung
des Denkens und das sinnvolle ArbeiLen mik zahlreichen Kakegorien zu enk-
wickeln und durchzusetzen. Dann ersk wird auch das ihr eigenkümliche Ekhos
voll in Erscheinung Lreken.

Ein Beispiel: Wenn ersk einmal bei der Bekrachkung und BeurLcilung von
Mnsik die unbeskreikbare Komponenke des Unkerhalkens ohne Bersuche einer
Beschönigung oder moralischen RechkferLigung anerkannL und bejahL wird,
dann wird man auch der GaLLnng UnLerhaltnngsmusik ohne Zweifel eher
gerechk werden können, als es jetzk miL den Scheuklappen der OrienLierung
an der Kunstmusik möglich isk. Man wird dann von ihrem Wesen ans
urkeilend sauberer innerhalb der GaLLung gut und schlechk scheiden können.
Es wird sich dann auch eher die noch so häufige Entweihung von Kunstmusik
(unter dem Einfluß des hierher nichk gehörigen Bildungsgedankens) zu bloßen
blnkerhalkungszwecken einschränken.

2lls weikeres Beispiel mag die jeHL so viel umstri'LLene Iazzmusik dieneri.
Idealistische BekrachLung lehnk sie schlechthin ab und verdammk sie als zur
Sphäre des Verkommenen, UnLermenschlichen gehörend. Die andere BeLrach-
Lungsform verzichkeL zunächst einmal auf das überhebliche RessenLimenL gegen-
über dieser Sphäre und erkennL in dieser Erscheinung den gesunden und kräs-
Ligen Ansdruck einer unkergründigen MkaliLäL, eben die KehrseiLe zu unserer
hochgesteigerken Zivilisation und KulLur. Schließlich ist ja doch die Kehrseite
auch eine Seite und ihr wird im Gegensah zu der üblichen Berleugnung und
Bcrtuschung auch LebensrechL zugesprochen. Diese SeiLe ist, so wird hervor-
gehoben, ja doch unser Aller eigenste AngelegenheiL, und Auswuchs und Miß-
stand entstehen erst dadurch, daß sie durch die Aberkennung ihres legitimen
CharakLers in die „minderwerkige FunkLion" gedrängk wird. Die Auffassnng
nämlich, daß es sich da um die Übernahme einer uns arkfremden Ausdrucks-
form, um eine Berniggerung handelk, zeugk zwar von einer küchkigen, wackcren
Gesinnung, aber nicht eben von allzu großer EinsichL. Denn die beispiellose
Berbreikung der Iazzmusik bei uns und ihre eindringliche Wirkung auf jeden,
der miL voller EhrlichkeiL ihr gegenüberkriLL, ist denn doch nicht miL händlcri-
schen Machenschafken zu erklären, sondern bcweist, daß für sie in unscrer
KonstiLukion eine naturgegebene EnLsprechung und Bereikschafk vorliegen muß.
Gerade für uns Deuksche, die Erben des „Iahrhunderks des deutschen Geistes",
bedeutet dieses Barbarische ein Gegenspiel und RegeneraLions-
miLLel gegen die Übergeistung, dem man allerdings mit dem bloßen
KunststandpunkL nicht gerechk werden kann. (Barbarisch im Sinne jencs schö-
ncn WorLes von Schelling: „ein aufgeklärtes Volk, das alles in Gedanken
auflöst, verliert mit dem Dunkel auch die Skärke und jenes barbarische Prin-
zip, das die Grundlage aller Größe und Schönheit ist.")

Es zeigt sich also, daß der phänomenologisch BeLrachLcnde das GesamL-
gebiek musikalischer Erscheinungen in voller NundheiL anerkcnnt und be-
achtek, wobei sich ergibt, daß „Musik als Kunst" innerhalb dieses Gcsamk-
gebietes nur einen Sektor darstellt. Diesem einen Sektor wcrden die andercn
nicht unkergeordnet, sondern nebengeordnet. Für ihre Beurteilung ist der ihnen
innewohnende Zweck oder Sinn maßgebend. Es wird gefragk: welche Wir-

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