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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

DOI Heft:
Heft 12 (Septemberheft 1927)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Welt und Gegenwelt: Bemerkungen über das Künstliche
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0425

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Asiö", m denen ein zähneknirschendes Ressenkiment gegen Natur und Leben
einen schauerlichen Ausdruck findek. Das Weib, das er liebk, muß er hassen,
weil zuviel bunkes Leben in ihm isl; in schönen Gärten, durch die er seine
Lebensschwäche schleppk, fühlt er ofk die Sonne wie einen scharfen Spott
feine Brust zerreißen: „llnd der Frühling und das Grün haben so sehr mein
Herz beleidigt, daß ich die Unverschämtheit der Natur an einer Blume gerächt
habe."

Mit voller Wachheik kehren sich seine Jnstinkte besonders auch gegen alles,
was in der Liebe lebenfördernd oder gar lebenzeugend ist. Das Weib,
das er liebt, ist stets das gefährliche Tier, die Tigerin, die Wölfin, die
Schlange, die Sphinx, der Bampir, der bizarre, erotische Fetisch, die Me-
gäre, die Dirne; vor allem aber ist fie die Unfruchtbare. Kurz, es muß
überall der Tod ausbrechen in einer Welt, die auf Tod gebaut ist, und der
Blick in Baudelaires Dichtung, so groß und herrlich ihre Form ist, gibt von
der geistigen, besser: der geistlichen Seite her ein ähnliches Bild, wie er es
in dem Gedicht cliarogiio" geschildert hat: ein Bild des Zerfalls, der Ber-
wesung und Derjauchung, die mit furchtbarer Gewalt um sich greift, alle
Gcbilde von innen her aushöhlt und in einem langhinhallcnden Zusammen-
sturz endigt.

Es gibt in diesern Prozeß bei Baudelaire nichts Kleines, nichts, das bloß
bizarr oder gar spielerisch wäre. Bricht seine Welt zusammen, so ist es der
Sturz eines Kolosses, eines Babelturmes, davon die Erde zittert und der Him-
mel widerhallt. Mit langaushaltendem Ton, in edelster Festigkeit der Sprache
hat er die gläsernen, unheimlichen Landschasten seines großen „onnni" geschil-
dert; wunderbare Tafeln, auf denen zu lesen steht, daß das Teufclswerk
der Gegenschöpfung nicht nur voll 2lngst und tausendfachen Schrecken ist,
sondern vor allem unsagbar öde, kalt und leer und gähnend langweilig. Es
ift kein echtes Leben in ihr; und da die lebendige Seele an michts anderem auf
die Dauer Jnteresse hak als am Leben, liefert die Gegenwelt ihren Bewohner
einer verzweifelten Monotonie aus, die selbst das Grauen in lauker Ekel zu
ersticken vermag. Die Schrecken der Gegenwelt sind ihr festlichcr Bestand-
teil; ihr Werktag aber sind der schleichende Kummer, die Langweile, die trost-
lose Sehnsuchk nach dem lbkichts, der unstillbare Lebenshunger, dem
nicht nur die Nührung fehlk, sondern auch alle Organe, um Rkahrung ent-
gegenzunehmen. DerZyklus „bovo^ago" stellt dar, wie kein Durchrcisen dieser
Gegenwelt irgendein Herauskommen aus der grenzenlosen Hde zu bringen ver-
mag. Mit einer Klarheit, vor der wir uns zu beugen haben, weiß Bandclaire:
„Die Welt, einförnng und klein, zeigt uns heute, morgen und immcr unser
eigenes Bild, eine Oase des Entschens in einer Wüste von Lebens-
ekel".

Darum ist schließlich eine dcr wenigen ungebrochenen Situationen Baudelaires
seine Situation gegenüber dem Tod. Die erste Regung des Abfalls hat, wie
hier gesagk wurde, den Tod schon in sich enthalten; es stellt sich nur offen dar,
was geheim schon am Anfang gegeben war, wenn das höchste Wort dicscr
Gegenwelt „Tod" heißt: Iubel dem Tode entgegen, Lobpreis des Endes,
unbändige Lust zur Fahrt ins Unbekannte. Es ist nicht nötig, hier dic hymni-
schen Worke zu wiederholen, mik denen Baudelaire den Tod als einzige Hoff-

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