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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0447

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Tribüne

Neue Wlßenschaftsgejlnnung

Don F. Seifert

^er erfte Eindruck deS neuen Buches von Edgar Dacque, das unter dem Titel
„Natur und Seele" im Verlag R. Oldenbourg m München erfchienen ift,
i'ft beinahe der elner Sammlung von Essays; die emzelnen, in sich ziemlich selbftän-
dlgen Kapitel (von einem dieser brachte der Kunftrvart im Februarheft eme Probe)
sinö locker aneinandergefügt, eine formelle syftematifche Verknüpfung der Gedanken
ift vermieden. Jn der sprachlichen Form tritt das Eigentümliche von DacqueS per-
sönlichem Stil noch deutlicher als in „Urwelt, Sage und Menfchheit" hervor: ent-
fcheidende, ja umwälzende Dinge auf eine bis zur Unfcheinbarkeit einfache Weise
auszudrücken. Dem Gefühl des Lesers wird bald deutlich, welchen Sinn der Ver-
zicht auf alle äußerlich überredenden dialektifchen Mittel, auf jede äfchetifche Am-
bition hier erfüllt: das Beftimmende liegt in ethischen Voraussetzungen; Wille
zum Bekermtriis prägt das Wort nach anderem Gesetz als äfthetifche oder dialek-
tifche Absrcht. Trotz der äußerlich zwanglosen Gruppierung wirkt der Aufbau des
Werkes organisch gefchlossen; das Nebeneinander der Teile ift gleichsarn unterirdifch
verklammert durch die Kraft einer einheitlichen persönlichen Überzeugung.

Die Entwicklung von DacqueS Lehre läßt sich am beften von der allgemeineri Situa-
tion des wissenfchaftlichen LebenS auS begreifen. Die f)dee der unrversitss litts-
rsrum könnte verglichen werden mik einer Kreisfigur. Wer in irgendeinem besonderen
Wisserifchaftsgebiet tätig ift, findet seine Aufgabe lokalisiert in einem Kreisbogen
der großen Peripherie. Diesen Bogen abzuschreiten, seine Befchafsenheit, die Man-
nigfaltigkeit der ihm eigenen Beziehungen zu beftimmen, ihm seine Gesetze, das letzte
Geheimnis seiner Konstruktion zu entreißen, darin erkennt er die ihm geftellte Forde-
rung. Wenn er nun ferner die Gewißheit besitzen kann, daß sein Tun für das Ganze
notwendig isl, daß von seiner Arbeit am Teil der Beftand des ganzen Kreises
wesentlich abhängig ift, so wird er mit seiner Aufgabe leben und fterben können.
Die Redc von einem „wissenfchaftlichen Ethos" kann nur Sinn haben unter der
Voraussetzung der Jntaktheit dieser Beziehung auf das Zentrum, die für jeden Punkt
der Peripherie in Kraft ift.

Wenn aber, um das Bild weiterzuführen, diese ideale Kreisfigur Derzerrungen oder
Unterbrechungen erlitten hat, so daß aus der universitss eine cüversiiss littersrum
geworden ift, dann ergeben sich zwei Möglichkeiten: entweder mit allen Kräften die
geftörte Ordnung, den verlorenen Anfchluß wieder herzuftellen zu suchen, vder um
das Ganze unbekümmert auch dem loSgesprengten Bogenftück verhaftet zu bleiben
und mit ihm weiterzutreiben, und sei es ins Bodenlose.

Dacques ursprünglicher Ausgcmgspunkt ift das Gebiet einer Einzelwissenfchaft (der
Paläontologie). Als einem Forscher, der fruchtbare Einfälle hat, der auch auf den
alten, tausendmal begangenen Pfaden es nicht unterläßt, die Hand auSzuftrecken nach
Früchten, dic von Mitwandernden unbemerkt am Wegrand reifen, kommt ihm zu-
nächft zum Bewußtsein, welche Rolle auch in dem fcheinbar nur dem Jntellekt reser-
vi'ertcn Bezirk einer einzelnen Tatsachenwissenfchaft der Jntuition, der aus der Un-
faßbarkeit des Schöpferifchen quellenden Schau zukommt; er erkennt fchließlich, wie
„auch die einfachfte Befchreibung eines GegenftandeS. .., als Wollen zu reiner Er-
kenntni's, doch nur metaphysifcheri Sinn haben" kann. ^sn solchen Erfahrungen aber
skeckt zuglei'ch die Aufforderung, den Ausblick auf den Mittelpunkt, der hinter dem
Dunftfchleier nnzulänglicher Vorftellungen verhüllt ift, wieder freizubekommen; es

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