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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 40,2.1927

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Heft 12 (Septemberheft 1927)
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Bücherschau
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Zu unseren Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8882#0476

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unser selbst gehen", nnd fordert anf, die
Wirkli'chkeit und die „Last deS Menschen-
tums" entschlossen auf sich zu nehmen.
Es sieht gerade in der freudigen Bc-
jahung der Wirklichkeit den Weg zur
llberwindung des bloßen Jntellektllalis-
mus und NatllralismuS, in der Hingabe
an das Leben und seine konkreten Aufga-
ben die Möglichkeit, den ganzen „inneren
Bestand" des Menschen zu sichern. Die-
ser Glaube, das Ewige, die „Kindfchaft

Gottes" in der Kindschaft zur Welt zu
bewahren und zu bewähren, prägt das
Wort klar, genau und entschieden und
überzeugt durch die Kraft der Erkenntnis,
die zugleich Bekenntnis ist. Das Kapitel,
das wir dank dem Entgcgenkommen des
Verlags abdrucken, möge ein Beispiel
geben und zugleich als Aufforderung ver-
standen werden, sich mit den fast unbe-
kannten Werken dieser seltenen Frau ver-
traut zu machen.

Zu unseren Bilderu und NoLen

on demWestfalenB ern h ar dP an ko k
(geboren i8gz) bringen wir zwei ver-
kleinerte Kohlezeichnungen, deren 2/s R.
Piper u. Co., München, zu einer Mappe
vereinigte (Zgi Zif cm). Die Originale
sind noch größer, wahre Riesenblätter.
Wilh. Worringers einfühlungsstarker Be-
gleittext will nicht die einzelnen Blätter
deuten, nur das Werk und den Künstler
im ganzen. Das aber ist ihm vortrefflich
geglückt; eine schöne Leistung auS tiefem
Verstehen. Der um die junge Kunst hoch-
verdiente Verlag macht in diesen vor-
züglichen Drucken die Dffentlichkeit mit
einem überaus eigenwilllgen, aber starken
Künstler bekannt, der Bedeuksames zu
sagen hat: er sieht durch und hinter die
Erscheinungen und weiß das Geschaute
durch die Art seiner Darstellung packend
zu übermitteln. Diese Kunst ist keine
ästhetische Angelegenheit, sondern Sinn-
gebung, der sich die Gegenstandsform
fügen muß. Gewiß ist nicht alleö in sol-
cher Art geglückt, aber vieles — und
das Beste ist von einer zwingenden Dä-
monie. Bewundernswert auch, was hier
mit der Kohle an flächiger Gestaltung,
Wucht des Massigen, Bewegtheit, wech-
selnder Tonigkeit und selbst Farbigkeit
erreicht wurde. Schon als bloße
Schwarzweißwirkung überwältigen diese
Blätter.

Es war später Abend, als ich sie zuerst
sah. Gegen daü eine Fenster drängte die
kommende Nacht mit fchwerem Blau, be-
wegtes Geäst warf gespenstifche Schatten
über die blassen Vorhänge. Zur Rechten
leuchtete auS einer düsteren Hauswand da
und dort Lampenglut gleich gierigen
Raubticraugen herüber, im Zimmer selbst
brannte daS Licht noch spärlich. Jn den
wirren Reihen der Büchcr ringsum fchien
es sich gelegentlich zu regen. Nebenan

4i4

sangen sie Loewes Douglas-Ballade. Da
zog ich den Leuchtkörper tiefer und legte
auf die überlichtete Tischplatte Pankoks
Kohlezeichnungen zu einer Vorschau.
Bald wurde mir die ganze Umgebung wie
ein Vorspiel des hier sich Enthüllenden.
Aus den tiefen, vollen Schatten der hin-
gewühlten fchwarzen Flächen brachen
flackernde Lichtbündel wie wogender Son-
nenbrand und fackelten in die fchwere
Finsternis ihrer Umgebung; dann wieder
huschende, streifige Lichter ^— ein Urstoff
fchien in vulkanische Gärung geraten.
Wie stürmifcher Wellengang an nächti-
gem Meer umwogte es mich. Jch konnte
nicht mehr weiter, kam nicht bis zum
Gegenständlichen; da schloß ich die
Mappe. Waü ersteht aus bloßem Hell-
dunkel unter der Hand eines nordischen
Menschen und einer seltsamen Erregbar-
keit! Später wirkten die Blätter wie
Traumerinnerungen, die sich mühsam ge-
stalten. Allmählich wurden sie bestimm-
ter und geschlossener, verloren ihr fchwan-
kes Wesen, ihre stammelnde Bruchstück-
natur, wurden einheitliche Gebilde von
bannender Stimmung. Van Gogh,
Munch, Nolde und ähnliche stcllten sich
als Weggenossen ein; und doch ist Pan-
koks Werk frei von ihnen; nur die Ver-
wandtschaft nordischen WesenS und Se-
hertums verbindet es mit jenen.

Was enthalten diese Blätter? Wenig
Menfchliches, meist Landfchaften, ein
paar Stilleben und Tiere. Alles erfüllt
von einer ungemeinen Erlebniskraft und
Mitteilungsfähigkeit, die über das bloß
Sichtbare der ErscheimmgSwelt hinaus-
reicht. Da liegt ein Häring auf dem Tel-
ler. Er ist nicht nur tot — totest. Aus
dem gebrochenen Auge und hungrigen
Maul spricht es wie hilfloses Erliegen
und Unbegreiflichkeit. Dort glühen Blu-
 
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