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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 3 (Dezemberheft 1927)
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Tribüne
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0218

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inSiviöllaler und glaubensioser, unö der Benz'sche als glaubensloser abgelehnt, und
die Elemente einer kunftigen individualistisch-kollektivistischen Synthese richtig bloß-
golegt. Der Deutsche von morgen wird sich weder amerikamsieren, noch bolschewi-
sieren, noch mit der Benzschen Programm- und Ersatzlösung begnügen; vielmehr
sich als auögereiftes Jndiviöuum von höchsrer Berantwortung dem
Kollektivziel der Boll-Jndividuen schöpferisch-tatig unterordnen.

UmscHau

Barock und Gegenwart

(^ermann Doß hat in diesem Sommer
'^'in Berlin eine Auöstellung itaiieni-
scher Malerei des 17. bis 16. Jahr-
hunderts veranstaltet. Es war die dritte
seit dem Kriege, die uns Werke dieser
lange übersehenen Epoche vorführte (die
erste 1922 Florenz, die zweite ig2Z Lon-
don). Di'e Bewegung zugunsten des Ba-
rock ist jetzt rund vierzig Jahre alt. Aber
die Wirkung des Gurlittschen Buchs
von 1867 beschränkte sich im Sinne der
Zeit wohl noch ganz auf ein Abschreiben
und mechanisches Nachahmenwolien. Und
jene Epoche schien ja wirklich etwas, den
auffallendsten Barockeigcnschaften Ber-
wandtes zu haben. Seitdem sind in der
Kunstanfchauung Katastrophen eingetre-
ten und die Liebe zum Barock ist — ge-
wachsen.

Mit Recht hat Boß hervorgehoben, daß
die Herkunft des Barock nicht Michel-
angelo allein zuzuschreiben ist, wie ich es
auch nvch in meiner „Lyrik des Barock"
behauptet hatte. Auch Raffael und der
allerdings spätere Correggio weisen Ab-
wandlungen in der Formung ihrer The-
men anf, die entschieden und bewußt nicht-
klassisch sind und bemerkenswerterweise
andre Spielarten des neuen Stils zeigen
als Michelangelo. Jmmerhin wird be-
stehen bleiben, daß gerade im Schaffen
dieses Meisters von Anfang an persön-
liche Eigenschaften liegen, die dann ihre
führende Rolle nicht mehr verlieren.
Zweieinhalb Jahrhunderte herrscht der
Barockstil. Das ist für unsern kleinen zer-
svlitterten Halbinselerdteil mit seiner kur-
zen Geschichte eine lange Zeit. Er ist wäh-
renddem auch nicht ohne sehr wichtige Vev-
änderungen geblieben, ja im Hochbarock,
als der AbsolutiSmus auf der Höhe seiner
Bedeumng stand, findet er so machtvoll-
beruhigte Kompositionen, daß man in ge-
wisser Hinsicht an die Klassik gemahnt
wird; wie ja auch oft die Behandlung

kleinerer Stoffe gerade in ihrer Einfach-
heit und Einfalt an diese anderthalb Jahr-
hunderte alte Vergangenheit erinnert.
Die Gesinnung aber, auS der im Barock
geschaffen wird, ist eine andere. Jene
Sicherheit stammt aus der, die dem absv-
luten Souverän oder der Unerschütterlich-
keit des Dogmas zugeschrieben wird. Die
Demut entstammt der Bescheidenheit der
Gott oder dem Herrscher unterworfenen
Kreatur. Die katholische Bevölkerung der
ganzen Welt, die spanisch-portugiesische
Welt kennt beinahe nur den Barockstil.
Und er hat während der Zeit ummterbro-
chen Andachtsformen und mehr Schön-
heitstypen als die klassische Zeit gcschaf-
fen und vor allem zahlreichere Bauten
und Bilder, als die vorhergehenden Stil-
epochen zusammen.

Seitdem die Kunstgeschichte den Wea
nachzugehen versucht hat, den der schaf-
fende Geist Schritt für Schritt zurück-
legte, wuchs das Mißtrauen gegen den
Barock ständig. Zu Winckelmanns Zei-
ten setzte mancher noch Guido neben Raf-
fael. Während dessen Bergötterung in
den protestcmtifchen Ländern ihren Höhe-
punkt erreichte und in seiner und seiner
Borgänger Nachahmung der Keim einer
neuen großen Kunst vergeblich gesucht
wurde (Nazarener, Präraffaeliten), blie-
ben doch die Kirchengläubigen des Katho-
liziSmus fast überall den alten Gebäu-
den,Altären,Bildern undGerätentreu. Für
sie hatten und behielten diese Dinge gerade
in dieser Form ihre Heiligkeit. Es ist frag-
lich, aber auch nebensächlich, ob die Künst-
ler des Barock im wahren Glauben ge-
schaffen haben; ftaglich, weil sie ja auch
Kinder der neuen Zeit waren, trotz Ge-
genreformation und Aufblühen der vielen
neuen Orden kurz nach löoa, nebensäch-
lich, weil die allgemeine Atmosphäre des
Glaubens, der Erlösung, der Wunder und
der Heiligen als Erscheinung und Wir-
kung von außen genügte, zumal zusam-
men mit dem Stachel ehrgeizigen, kon-

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