DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1929)
DOI Artikel:Schaeffer, Albrecht: Hektors Tod
DOI Artikel:Rosenstock-Huessy, Eugen: Vom Staat zum Stamm
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0452
„Hektor, ich Mißbeftellle! Zu gleichem Schicksal geboren
Waren wir Beide, in Troja du in Priams Gebäude,
Aber ich in Theben und unter dem waldigen Plakoö
Jn Eetions Haus, der mich nährte, als ich noch klein war,
Mißgefchickt er zu furchtbarem Gefchick! Wär ich niemals geboren!
Aber in Hadeö' Gebäude und in das Verborgne der Erde
Gingft du nun, doch ließeft du mich in grausigem Leide
Eine Witwe in Sälen. Noch unklug ift mir der Knabe,
Den wir gezeugt, du und ich, wir Mißgcfchickten! Jhm wirft du,
Hektor, Labe m'cht sein, da du ftarbft, und dir m'cht der Knabe.
Wenn er dem tränreichen auch dem Getümmel entflieht der Achaier,
Jmmer werden doch später ihm Mühsal werden und Sorgen,
Denn es werden ihn Andere bald der Äckcr berauben.
Denn der Derwaisungstag macht freundeverluftig den Knaben:
Gänzlich wird er gebeugt, betränt aber sind ihm die Wangen.
Darbend geht der Knabe heran zu Freunden des Daters,
Einen ziehend am Hemd, den Andcrn aber am Mantel;
Von den Erbarmenden reicht das Näpfchen ein wenig ihm Einer
Und benetzt ihm die Lippen, doch m'cht benetzt er den Gaumen.
Und ihn ftößt vom Mahle auch weg der Eltern-Umblühte,
Mit den Händen ihn fchlagend und ihn anfahrend mit Schmähung:
Fahr dahin! Es speift dein Vater ja nicht mit den Unsern!
Aber der Knabe geht betränt zur verwitweten Mutter,
Aftyanax, der zuvor auf Knieen sitzend des Vaters
Mark gegessen allein und den fetten Speck von den Schafen;
Doch wenn Schlummer ihn nahm und die Kindifchkeiten ihm hemmte,
Ruht' er in Betten wohl und in dem Armbug der Amme,
Auf der Ruheftatt weich, das Herz gefüllt noch mit Blüten.
Dich aber nun bei den Schiffen und fern den Erzeugern, o Hektor,
Wimmelnde Maden verspcisen, nachdem sich die Hunde gesättigt,
Nackend; aber es liegen die Kleider dir min in den Sälen,
Die erfreulichen zarten, gefertigt von Händen der Weiber.
Aber ja du, die alle zerflamm ich mit glühendem Feuer
— Die nicht nütze dir sind, du liegsk ja nirgend auf ihnen —,
Daß sie ein Ruhm aber doch den Troern und Troinnen werden."
Also sagte sie weinend, dazu aber ftöhnten die Weiber.
Vom Staak zum Skamm
Von Eugen Rosenfiock
i. Die neuen Nomaden
' ^">er moderne Induftrialismus bedingk eine unausgcsehte Völkcrwanderung.
"^-^Vor kurzem siand in der Zeitung, ein Dorf von 1700 Menfchen werde
vom Braunkohlenbergbau buchstäblich wcggefressen. Talsperren zwingen mehr
als ganzc Ortfchaften, gleich einen Bezirk zu räumen. 2lls ich vor ciniger Zcit
nach Holsiein kam, wurde dort in rein landwirtfchaftlichem Distrikt cin Wcrk
industrieller 2lrt stillgelegt, das ein einziges Iahr zuvor errichtet worden war.
377
Waren wir Beide, in Troja du in Priams Gebäude,
Aber ich in Theben und unter dem waldigen Plakoö
Jn Eetions Haus, der mich nährte, als ich noch klein war,
Mißgefchickt er zu furchtbarem Gefchick! Wär ich niemals geboren!
Aber in Hadeö' Gebäude und in das Verborgne der Erde
Gingft du nun, doch ließeft du mich in grausigem Leide
Eine Witwe in Sälen. Noch unklug ift mir der Knabe,
Den wir gezeugt, du und ich, wir Mißgcfchickten! Jhm wirft du,
Hektor, Labe m'cht sein, da du ftarbft, und dir m'cht der Knabe.
Wenn er dem tränreichen auch dem Getümmel entflieht der Achaier,
Jmmer werden doch später ihm Mühsal werden und Sorgen,
Denn es werden ihn Andere bald der Äckcr berauben.
Denn der Derwaisungstag macht freundeverluftig den Knaben:
Gänzlich wird er gebeugt, betränt aber sind ihm die Wangen.
Darbend geht der Knabe heran zu Freunden des Daters,
Einen ziehend am Hemd, den Andcrn aber am Mantel;
Von den Erbarmenden reicht das Näpfchen ein wenig ihm Einer
Und benetzt ihm die Lippen, doch m'cht benetzt er den Gaumen.
Und ihn ftößt vom Mahle auch weg der Eltern-Umblühte,
Mit den Händen ihn fchlagend und ihn anfahrend mit Schmähung:
Fahr dahin! Es speift dein Vater ja nicht mit den Unsern!
Aber der Knabe geht betränt zur verwitweten Mutter,
Aftyanax, der zuvor auf Knieen sitzend des Vaters
Mark gegessen allein und den fetten Speck von den Schafen;
Doch wenn Schlummer ihn nahm und die Kindifchkeiten ihm hemmte,
Ruht' er in Betten wohl und in dem Armbug der Amme,
Auf der Ruheftatt weich, das Herz gefüllt noch mit Blüten.
Dich aber nun bei den Schiffen und fern den Erzeugern, o Hektor,
Wimmelnde Maden verspcisen, nachdem sich die Hunde gesättigt,
Nackend; aber es liegen die Kleider dir min in den Sälen,
Die erfreulichen zarten, gefertigt von Händen der Weiber.
Aber ja du, die alle zerflamm ich mit glühendem Feuer
— Die nicht nütze dir sind, du liegsk ja nirgend auf ihnen —,
Daß sie ein Ruhm aber doch den Troern und Troinnen werden."
Also sagte sie weinend, dazu aber ftöhnten die Weiber.
Vom Staak zum Skamm
Von Eugen Rosenfiock
i. Die neuen Nomaden
' ^">er moderne Induftrialismus bedingk eine unausgcsehte Völkcrwanderung.
"^-^Vor kurzem siand in der Zeitung, ein Dorf von 1700 Menfchen werde
vom Braunkohlenbergbau buchstäblich wcggefressen. Talsperren zwingen mehr
als ganzc Ortfchaften, gleich einen Bezirk zu räumen. 2lls ich vor ciniger Zcit
nach Holsiein kam, wurde dort in rein landwirtfchaftlichem Distrikt cin Wcrk
industrieller 2lrt stillgelegt, das ein einziges Iahr zuvor errichtet worden war.
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