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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,2.1930

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Heft 7 (Aprilheft 1930)
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Der Begleiter. Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8888#0030

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ei'nmal aufblickte, als der Chor nach Verlauf einer Vierkelftunde feine Vor-
träge beendet hatte und alle Männcr und Frauen, Sara mit eingefchlosscn,
cincr nach dcm anderen hinter der Tür verschwanden. Dcr Rittmeifter wußte
fpäter selbst nicht mehr zu erzählen, in welcher Skimmung er die übrige Zeit
am Tisch feiner Freundc verbracht hatte, denn der Augenblick, als er später
durch das Portal in die Rkacht hinaustrat und im Schatkcu dcs Hauses die
dunkleu Gestalken Saras und des alten Zigeuners auf sich zugehen sah, erfüllte
ihn mit einem so erfchütternden Übermaß vou Glück, daß alles Voraugegangene
wie mie einem Schlage ausgelöfcht war und er eine Zeitlang nach Luft ringen
mußte wie ein Ertrinkender, der die Wasser eiues großcn und von der Sonne
befchienenen Meeres über sich zusauunenfchlagen fühlt. Die Brieftafche ver-
fchwand sogleich uuter dem fchäbigen Überzieher des Zigeuners, nnd Kyrill
fuhr mit Sara durch die, troH der vorgerückken ITachtftunde noch immer uicht
ftill gewordenen Straßen nach seincr Wohnung. Währcnd der ganzen Fahrk
blieb Sara ftumm, der Rikkmeifter aber sprach unaufhörlich wie ein Bcraufch-
ter auf sie ein und das Folgcnde war der nngefähre Znhalt seiner Rede:
sic müsse nun wissen, wic sehr cr sic licbe; dies mußte seiu, er hätte sich sonft
tötcn müssen, wcnn es nicht so gekommen wäre; sic könne cs uoch nicht glaubeu,
daß es so sein mußte, er abcr wisse es und auch sie wcrde es wissen; beim erften
Anblick fchon habe er es gefühlk, uichts, nichts mehr gebe es auf der Wclk,
es gebe keine Stadt und keinen Himmel, nur sie ganz allein sei da und er ganz
allein sei da, und cs gebe sonft nichts, als daß er sie liebe und daß auch sie es
einmal glauben werde; man dächte, vieles zu wisseu, dann aber konune eiu
Augenblick, in dcm man erkennt, daß es uur Eines zu wisseu gebe, und nichts
andcres sei wissenswürdig. So ungefähr hatte der Nittmeiftcr zu Sara ge-
sprochen und danu waren sie vor seiner Wohnung angelangt. Kyrill enk-
lohnte deu Kutfcher, sic gingeu ins Haus; auf der halbdunklen Treppe aber
legtc Sara plöhlich ihre 2lrme nm seinen Hals und küßke ihu auf die Stirn,
ungefchickt, wie ein halbwüchsiges Mädchen küßt. Er erwiderte den Kuß mit
einer fcheuen Zurückhaltung, über die er sich selbft eiu wcnig wundcrn mußte,
und sie betraten die Wohnung, in der sie einen gedeckten Tifch, das Bad und
das hellerlcuchtete Schlafzimmer berciket fandeu, wie I'reuvermählte nach ihrer
Hochzeit.

Kurz darauf gcfchah cs, daß das Schicksal zum crftenmal seine Hand mit voller
Wucht an das Herz Kyrills legke. Es war alles so gekommen, wic er es
ni'cht vorauszuseheu gewagt hatte. Er hatte die Empfindung wie ein mit un-
bcgreiflicher Gewalt brennendes Feuer aus dem Mädcheu emporfchlagen schen,
Sara drängte sich in scine 2lrme wie SchuH suchcud vor der Fülle eines nicht
mehr erLräglichen Lichtes. ZeHt auf cinmal konnte auch sic ihr Gefühl sagcii,
und sie tak es beinahe mit deu nämlichen Worten, die der Rittmeifter vorher
wähvcnd ihrer nächtlichen Fahrt durch die Stadt gebraucht hattc. Doch wäh-
rend sic mit ihrer duuklen und rätselhaft tiefen Stimme immer süßere und
ftärkere Worte sprach, wurde Kyrill vou cineni furchlähnlicheu Gesühl ergrif-
fcn, als sci cin Dritter im Zimmcr, der sich zugleich mit ihnen cingefchlichen
habc, um tcilzunehmcn an dem Wunder, das zwifchen ihm und der Zigeunerin
in so kurzer Zcit vorgegangen war. Er ftand auf und drückte die Türklinke
nieder, fand abcr die Tür verfchlossen. Er zündctc alle Kerzen an, wußte
 
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