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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 44.1930-1931

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Heft 9 (Juniheft 1931)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Neue Bewußtseinsbildung in der Malerei
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Hofmiller, Josef: Ottobeuren
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https://doi.org/10.11588/diglit.8820#0656

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von der dann nach einigem Atemschöpfen weiter gedachk und weiter gegangen
werden kann — dann hat die Arbeit der Maler und Dichter, die hier in
Rede sianden, nichk nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft
einen Sinn: den menschenbildenden Sinn der Kunsi.

Ottobeuren

Von Iosef Hofmiller

Ltobenren liegt schön. Wie schön, geht einem auf bei öfterem Besuch.

^^Beim ersien sieht man nichts als die Basilika weithin leuchtend ragen
am Saum einer grünen Hügelsiufe, deren wesilicher Rand noch sanft hinauf-
schwillt, gegen die ehemaligen Amksgebände zu, während der ösiliche sich
zmn freundlichen Markte niedersenkt, der seinen HauptplaH zu Füßen breitet
wie einen sieinernen Teppich, auf drei Seiten umsianden von reinlichen Bür-
gerhäusern, nicht hoch, ohne andern Anspruch als den, ruhig dies lichte
Rechteck zu bilden, mit der hellen hohen Treppe hinauf zur hohen Kirche.

Mit der Zeit wird man inne, wie notwendig der gewaltige Mereckbau des
Klosiers dazu gehört, aus dem die Kirche blumenhaft hervorwächsi, sich aus-
breitet, verjüngt, bis die ausgebuchkeke Stirnseite Schluß macht, als spräche
die Architektur: Nmn isi es genug.

Fürsilich hebt sich diese benediktinische Abtei über dem wohlhäbigen Markt,
in geziemendem Absiande hinter der schattigen Wölbung alter Linden die
niedrigere Umrandung der Amtsgebäude. Berschwenderisch weit schwingt sich
von der geschlossenen Siedelung des Marktes die Mulde der Fluren empor
zum höher gelegenen planen Gelände gegen Kaufbeuren. Mit Gelassenheit
bettet sich die größte Klosieranlage in deutschen Landen in die hügelige
Breite einer schwäbischen Voralpenlandschast. Alles rings um sie, Wiesen
und Äcker meilenweit davor, Laubbaumgänge eng daneben, der ansieigende
Fichtenwald dahinter, der unermeßliche Himmel darüber, sie wirken nicht nur
als Rkatur, sondern als Architektur. Lebendig sieht alles in Licht und Luft,
mit gegensiändlicher Nüchternheit scheinbar, aber je öfter, je verweilender
man das Ganze betrachtet, desio mehr entzieht es sich allen Mitteln, mit
denen man es bewältigen möchte, der Leinwand des Malers, der Platte des
Lichtbildners, der Ohnmacht des Wortes.

Das alles jedoch erschließt sich allmählich. Wer zum ersien Male kommt,
sieht den Wald nicht vor lauter Bäumen. Was ihm später eine untrenn-
bare, gewachsene Einheit isi, scheint anfänglich meisierhaftc Anordnung vor-
züglicher Einzelheiten. Zum ersien Male kam ich nach Ottobeuren vor
dreizehn Iahren. Seitdem habe ich es sasi jedes Iahr wieder aufgesucht und
getrachtet, dahinter zu kommen, nach dem blendenden Worte des alten
Winckelmann, es genüge nicht, zu empfinden, daß etwas schön sei, man
müsse auch erkennen, warum es schön sei. Dieser Apfel der Erkenntnis
schmeckt nicht süß: hat man dem Bersiande den kleinen Finger gereicht, so
möchte er die ganze Haud. Vergleiche anzusiellen, und von ihnen aus über
Ottobeuren zu urteilen, isi nach der ersien Begeisierung eine müßige Zwi-
schensiufe, die man überwindet, weil sie auch zu nichts führt. Wenn man
das Werk rein für sich betrachtet und fürs ersie den kunsigeschrchtlichen

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