Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben (44.1930-1931)

sich zu guk, für einen einfachen ArbeiLer zu fierben, der wahrlich nichLs
dafür kann, daß ihm MozarLfche Melodien nichL an der Wiege gesungen
worden sind, oder wollLen Sie nur sagen, daß Sie nichL bereiL seien, sich
für ein KonsorLium von AufsichLsräten eine Kugel in den Kopf fchießen zu
lassen? Iedenfalls haben Sie so gesprochen, daß ich gar nichL mehr weiß,
woran ich eigenLlich miL Ihnen bin. Haben Sie überhaupL irgendeinen
klaren, ausgesprochenen poliLifchen StandpnnkL?"

Das GesichL des UnbekannLen drückLe resignierLe Verzweiflung aus. Er LippLe
miL dem Finger an die Stirn und wollLe gerade zu einer längeren AntworL
ausholen, als der Kellner des Speisewagens unter lieblichem GonggeläuLe
eintrat und daran erinnerte, daß es allerhand GuLes zu essen und zu Lrinken
gab. Die beiden Herren haLLen Hunger bekommen. Sie enLfernten sich und
überließen mich meinen Gedanken.

I^eue Lyrik III.

2.

ie „TrägheiL im KulturiDandel", der Vierkandt eiumal eme Skudie gewidmet hat,

ift im Gebiet der lyrischen Sprache gut zu verfolgen. Mit größter Anftrengung nur
tut das Talent, selbft das Genie einige Schritte über das Überlieferte hinaus, —
auch sie erfcheinen bald im Ganzen der Entwicklung gering genug; die Masse der
Künftler dagegen benutzt mit völliger klnbefangenheit den überlieferten Formenfchatz,
den sie kaum merklich hier und da abwandelt, während sie — auch >sie — sich
anftrengt und einbildet, etwas Persönliches, etwaö Neues zu sagen. Der Welt-
baumeifter hat sichtlich mit Fleiß Hemmungen genug in das Werk eingebaut, damit
es nicht zu rafch abfchnurre, und keine, wie immer geartete, Revolution wird, so-
lange Menfchen Menfchen sind, viel an dieser ftillen Gewalt der beharrenden Kräfte
ändern.

Wir sahen: Toller, der doch sicher des Wrllens und des Glaubens war, mit neuen
Zungen zu reden, bringt es kaum zu Strophen herkömmlicher Art; andere Dichter
sügen sich willig in die vorgefundene Welt künftlerifchen Ausdrucks, sei es, daß sie
Klassiker oder Romantiker oder das Volkslied oder sonftige Werte der Vergangenheit
als vorbildlich und nachahmenswert empsinden; sei es, daß sie einen jüngften, aller-
jüngften Stil imitieren. Jn beiden Fällen kann es, wenn die eigne Art des Künftlers
dem Vorbild verwandt ift, zu echten und achtbaren, wenn auch abgeleiteten Leiftun-
gen kommen.

Anna Schieber, Balladen und Lieder (Eugen Salzer, Heilbronn). — Irene
Forbes-Mosse, Ausgewählte alte und neue Gedichte (Deutfche Derlagsanft.).
Die fchwäbifche Erzählerin ift ein gutes Beispiel dieser Gattung: ihre „Balladen und
Lieder" sind zwar weder Balladen noch Lieder, sondern, meift allzu breite, Vers-
erzählungen und Gedichte herkömmlicher Art; aber die Sprache zeigt Geschmack, und
die gemütvolle Besinnlichkeit ihrer Volksfchristftellerei tut auch in dem weniger
angemessenen Mittel des Verses seine Wirkung. Das befte Stück „Einer ift zuviel
im Boot" ift in die neue Auflage des „Balladenbuches" ausgenommen worden.

Brief

kknd manchmal, wenn ich ganz im Fremden geh,
Und springt ein Hündlein zu mir in die Höh
Und bellt und schnobert sreudig — weiß ich nur:
„Du bift verbunden mit der Kreatur.

790