Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1892)
DOI Artikel:
Czechische Musik
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0294

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Strom neuer ursprünglicher Nhythmen, Modulationen !
und Melodien zu uns. <§s ist- ein frischer L^auch, wie ^
Morgenluft. Die Lzechen nun haben wenig zu thun, !
als ihre volkslieder und Tänze zu fruktifiziren. Gegen
die anderen Slaven stehen die Böhmen insofern höher, !
als sie, vor den jetzt erbitterten Nassekämpfen, soviel
deutsche Bildung angenommen haben, daß ihre Aunst-
formen gar nicht undeutsch sind, sondern nur einen
slavischen Inhalt haben."

Wir erinnern uns der im „Aunstwart" wieder-
gebenen Ivorte, die der treffliche Langhans kurz vor
seinem Tode niederschrieb, uns Deutsche zur scharfen
Ausschau auf das musikalische Schaffen der Nachbar-
völker mahnend. Sehr wenig am j)latze wäre eine

Vogel-Strauß-politik, die vor den Lrfolgen unserer
Naclibarn den Ropf in den Sand versteckte, um nichts
zu sehen. wir brauchen unsern Ropf zu besserer
Arbeit und brauchen die Augen um zu erkennen nicht
nur, was jenseit der Grenzen geschieht, sondern auch,
was bei uns geschieht. Genies schaffen, das können
wir ja nicht. wohl aber dafür sorgen, daß die
Talente, die wir haben, nicht „außerhalb der Geschichte
geraten", daß sie den Zusammenhang mit der Lnt-
wicklung der Tonkunst nicht verlieren und durch eine
echt künstlerische pflege der wusik wie des Musik-
verständnisses im bseimatlande für ihre eigene Tnt-
wicklung den günstigsten Nährboden finden.

L. 2.

Ikundsclimi

Allgemeineres.

» Delmdolrzens riortrag über Goetbe bei

der ^auptversammlung der Goethe - Gesellschaft in
weimar verbreitete sich zunächst über das wesen der
naturwissenschaftlichen Trkenntnis und besprach ins-
besondere die Vorgänge, die zu der Trkenntnis führen,
daß eine Ljypothese in der That der Ausdruck eines
Naturgesetzes sei. „wer aber das Gesetz kennen
lernt", sagte Ljelmholtz, „gewinnt damit nicht nur
Renntnis, sondern auch die Rraft, in den verlauf der
Lrscheinungen einzugreifen, er gewinnt in wahrheit
Fähigkeiten, wie man sie einst den Magiern zuschrieb."
Dann fuhr er fort: „Zndessen finden wir, daß auch
auf anderem wege als auf dem wege der wissen-
schaft Einficht in den verlauf der Naturbegebenheiten
genommen werden kann. Lin solcher weg ist ge-
geben in der künstlerischen Darstellung. Zn einzelnen
Richtungen der Runst wird Derartiges geleistet.
Denken Sie nur an irgend ein Nleisterwerk der Tragik.
Sie sehen Gefühle sich entwickeln, zuletzt gewaltige
Thaten daraus heroortreten, Sie sehen ein, daß unter
den gegebenen Bedingungen dieser Lrfolg eintreten
mußte, wie ihn der Dichter darstellt, und Sie scheiden
mit der Lmpfindung der Nichtigkeit des dargestellten
Seelenvorganges, das heißt der Nichtigkeit in der Dar-
stellung des naturgemäßen Ablaufes dieser Zustände.
Der Rünstler muß diese Lmpfindung gehabt haben,
der Lsörer ebenfalls, wenigstens insoweit, daß er sie
wiedererkennt, wenn sie ihm vorgeführt werden. Auf
dem mühsamen wege der wissenschaft ist diese Rennt-
nis der Seelenvorgänge sicher nicht gewonnen worden.
Die Rünstler selbst wissen wenig darüber zu sagen,
wo ihnen diese Bilder herkommen, ja sie werden zu-
weilen erst durch den Lrfolg davon belehrt, daß sie
etwas leisten, was ihnen die Nlehrzahl der Nkenschen
nicht nachmachen kann. Darum schätzen sie dies viel
geringer als jene Thätigkeiten, die ihnen Niühe machen.
Goethe stellte in einem Gespräche mit Lckermann seine
Farbenlehre höher als seine poetischen werke, und
Richard wagner erklärte mir einmal, daß er seine
Gedichte für wertvoller halte, als seine Nlusik. wir
können diese Thätigkeit nur kennzeichnen als künst-
lerische Anschauung. Nach der hergebrachten Termino-
logie bildet die Anschauung den Gegensatz zum Denken,
der Gruppirung der schon gewonnenen Thatsachen
zu Urteilen. Die bisherige Bestimmung der Sinnes-
anschauungen hat gar keine Analyse ihrer Bildung

versucht, hilft uns also nicht, die künstlerische Auschau-
ung zu verstehen. Zndessen müssen wir Linspiuch
erheben gegen die Anffassung, als ob sis im Gegen-
satze stünde zur Lrfahrung. Lrfahrung steht aber in
Beziehung zum Denken. So beruht auch die Geistes-
gegenwart in Gefahren nicht auf erschütternden
Seelenempfindungen, sondern auf einem raschen Urteil,
das sich früheren Lrfahrungen anschließt." — Der
Nedner zeigte an dem Beispiele von der Bedeutung
der Schlagschatten für die Auffassung der Formen der
Rörper und an der Rörperlichkeit der stereoskopischen
Bilder die verbindung von Anschauung und Urteil;
es sei schwer, zu trennen, was das eigene Urteil dazu
gegeben hat, er selbst sei geneigt, dem letzteren einen
großen chpielraum anzuweisen. Line wichtige Nolle
spiele auch das Gedächtnis, und allbekannt sei es,
wie wiederholung der Lindrücke das Festhalten der
Lrinnerungsbilder verstärke. „Diese selben Über-
legungen die hier bei der sinnlichen Anschauung an-
gestellt wurden, lassen sich auch auf die künstlerische
übertragen. Daraus, daß sie mühelos kommen, der
Besitzer nicht weiß, woher sie gekommen sind, folgt
durchaus nicht, daß sie nicht aus der Lrsahrung ge-
kommen sind. bsi^rnach werden wir auf eine positivere
Grundlage der künstlerischen Linbildungskraft hin-
gewiesen, als sie die Annahme vom »freien Spiel der
sshantasie« durch die Romantiker gewährte. Aus der
künstlerischen Anschauung der Linzelfälle erwächst die
Renntnis der Typen, des Gleichartigen der betreffen-
den Lrscheinungen. Um wie viel reicher die sinnliche
Anschauung ist, um so viel reicher kann die künstlerische
Gestaltung ausfallen, dazu kommt der Neichtum der
Gedächtnisbilder, so daß es dem Rünstler möglich
wird, dem Hörer außerordentlich viel Znhalt in mög-
lichst kurzer Zeit, dem Zuschauer möglichst viel auf
gedrängtestem Naume zu überliefern. Als ich darauf
hinwies, daß der Rünstler wahrheit überliefern wolle,
beschränkte ich mich auf das Beispiel der Tragödie.
wer die feineren wirkungen der Runst noch nicht
kennt, läßt sich leicht, namentlich den Werken der
bildenden Runst gegenüber, verleiten, absolute Natur-
treue als wesentliche Bedingung der Runst anzusehen.
Dann wäre jede j)hotographie den werken der bil-
denden Runst überlegen. Aber die letzteren sind, wie
wir sofort erkennen, ausdrucksvoller. Dies beruht
darauf, daß der Rünstler nicht die Dinge selbst,


lT

- 2S7
 
Annotationen