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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 22
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Batka, Richard: Nachklänge aus Bayreuth
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0356

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Gefühl wenigstens — noch Einiges zu wünschen
übrig ließ. Ob darin eine pndagogische Absicht lag,
das Pnblikum erst an den nenen Stil leichter zu ge-
wohnen, oder ob das Unvermögen vieler Sänger,
den mimischen Ansorderungen präzis zu entsprechen,
dasür verantwortlich ist, bleibe dahingestellt. Aber
schon das Gebotene genügte, um verstündige Freunde
des dramatischen Musikstils mit außerordentlicher Freude
über diese nur in Bayreuth methodisch gepslegte Kunst
zu ersüllen und anderseits eine beträchtliche Schar von
Besuchern in Harnisch zu bringen. Nun, das an und
sür sich würde den Festspielen nicht schaden. Dagegen
kann es nachteitig wirken, wenn dieselben Herren in
der Tages- und Fachpresse die Sünger haranguieren,
sich von der Tradition srei zu machen und dem Zuge
des eigenen Genius zu solgen. Mehr als je zuvor
hat der Eigenwille der anssührenden Organe sich heuer
in Bayreuth hervorgewagt, und es ist sehr zu besürchten,

daß, wenn ihm nicht znr rechten Zeit die Flügel ge-
stutzt werden, die Periode der Sängerdespotie wieder-
kehrt, die man seit Wagner glücklich überwunden
glaubte. Um so entschiedener muß gegen ein Kunstwerk
von der Sänger Gnaden protestiert werden. Dieses
Prinzip aber steht so hoch, daß es auch durch einzelne
Mißgrisse, die Bayreuth in der Durchsührung der
musikalischen Geberdensprache etwn passiert wären,
nicht umgestoßen werden darf.

Mögen Andere andre, neue und bessere Formen
des musikalischen Dramas entdecken und verwirklichen:
das Wagnersche Kunstwerk aber möge man bewahren,
wie es sein Meister erdachte, wie „sein Wille es wies".
Man möge sorgen, daß der großartige Kontrapunkt
der Poesie, Musik und Szenik nicht zum stillosen
Quodlibet entarte.

I^icbard Watka.

N u u d

Dicdtung.

» Scböne Literatur.

Gberlehrer Gesenins. Roman von O st e r l o h.
(Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt.)

Dora jdeters, Zwei, die sich liebten. Roman von
Annie B o ck. (Berlin VV., F. Fontane L Co.)

vom llveibe. Charakterzeichnungen von Maria
Janitschek. (Verlin, S. Fischer, Verlag.)

sibilla D a l 1N a r. Roman aus dem Ende dicses
Jahrhunderts. Von Hedwig Dohm. (Berlin, S.
Fischer, Verlag.)

Jn dem ersten dieser vier „Frauenbücher" schildert
Frau Osterloh einsach und anspruchslos, ohne jede
Geistreichelei, dasür hin und wieder mit etwas Trivialitüt,
das Leben und Lieben eines Gymnasialoberlehrers. Die
Versasserin grübelt und forscht nicht gern, Erörterungen
psychologischer Probleme liegen ihr sern, dafür besitzt sie
das Talent freundlichen Plauderns. So treten uns denn
ihre Gestalten allmählich näher, und fesseln sie uns nicht
mit zwingender Gewalt, so werden sie uns doch lieb
genug, um uns zumuten zu dürfen, an ihrem Schicksal
teil zu nehmen. Frau Osterloh gibt sich auch viele Mühe
mit der Schilderung des täglichen Kleinlebens; mit
hausfraulicher Peinlichkeit werden sogar Geringfügig-
keiten erwähnt. An und sür sich läßt sich ja dagegen
nichts sagen, es kommt aufs Wie an, dns Wie ist aber
so, daß man recht betrüblich den Unterschied zwischen der
schriftstellerischen Darstellungskunst unserer deutschen und
z. B. der sranzösischen Unterhaltungsliteratur empfindet,
von der in dieser Beziehung unsre Romanschriftsteller
ohne Schaden und ohne Beklemmung lernen sollten.
So wie hier geschildert ist... nun, ich gestehe, ich gäbe
gern manches davon hin, verschaffte mir die Verfasserin
dafür dann und wann einen weiteren Ausblick, eine scharf
geeckte Charakteristik oder sonst etwas von den guten


scbu u.

Dingen, die ja dem germanischen Kunstgciste näher liegen
sollen, als anmutiges Spielen, Gruppieren und Bcleuchten.
Mein Einwand bleibt aber ganz sicher Geschmackssache;
ich möchte schon deshalb keinem die Freude an diesem
Buche verderben, weil es ein ehrliches Buch ohne Pose ist.

Annie Bocks „Dora Peters" dürfte jedoch schon
strengeren literarischen Anforderungen genügen, als der
„Oberlehrer Gesenius." Von vornherein sei es gesagt:
auch dieses Werk ist ein anständig und sittsam unter-
haltendes Buch ohne besondere Originalität und Tiese,
dafür voll behaglicher Anschaulichkeit und liebenswürdiger
Beobachtung. Wenige Leser wiederum, zumal Leserinnen,
werden gleichgültig am Edelsinn des Künstlers Robert
Schwarz und der Launenhaftigkeit seiner schönen Dora
vorübergehen. Anfang und Ende ihrer Liebe sind mit
allen dazu gehörigen Jngredienzien nett, oft auch wirklich
beinahe sein beschrieben. Beschrieben, snge ich,
sorgfältig bis aufs Tüpselchen beschrieben, nicht anschaulich
vor unsere Augen aufgebaut. Man möchte all diesen
schreibenden Frauen das „bilde, Künstler, rede nicht"
zurufen — wüßte man nicht, daß sichs da um Fragen
des Könnens handelt, das nicht nur vom Fleiß, das
auch von der Begabung abhängig ist.

Anders tritt uns Maria Janitschek entgegen.
Sie ist Künstlerin. Ganz Künstlerin? Jedenfalls
wuchert sie schlecht mit dem anvertrauten Pfunde. Neben
den großen Vorzügen zeigt das neueste Werkchen Eigen-
schasten, die es für viele ungenießbar machen dürften.
Wie beim Hypnotisieren wird der Blick auf einen Punkt
gelenkt, und dieser eine wird immer wieder so scharf und
grell beleuchtet, datz alles andere rings herum im Dunkel
verschwindet. Dieser eine Punkt ist das Goschlechtsleben
des Weibes. Sieben Erzühlungen drehen sich um eine
und dieselbe Angel. Dadurch entsteht eine Einförmigkeit,
über deren Wiederholungen, doch auch eine raffinierte
schriststellerisch-dichterische Technik nicht hinweghelsen kann,
 
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