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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 13 (1. Aprilheft 1913)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0049

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Gehirn hinein, endlich einen mit Bewußtsein nicht der Schuld, sondern
der Rnschuld. Freilich sind alle Schmerzen der Kinder nur kürzeste
Nächte, wie ihre Freuden nur heißeste Lage; und zwar beides so sehr,
daß in der späteren, oft wolken- und sternlosen Lebenszeit sich der auf--
gerichtete Mensch nur alter Kinderfreuden sehnsüchtig erinnert, indes er
der Kinderschmerzen ganz vergessen zu haben scheint.

^ch weiß nicht, soll ich Kinderbälle mehr hassen, oder Kindertänze mehr
Oloben? Iene — vor dem Lanzmeister — in Zuschauer- oder Mit-
tänzer-Gesellschaft — im heißen Klima des Lanzsaals, unter dessen heißen
Produkten — sind höchstens die Vorreihen und Hauptpas zum Lotentanz.
Hingegen Kindertänze will ich loben. Wie die erste Sprache lange der
Grammatik, so sollte der Lanz lange der Lanzkunst vorgehen und vor-
arbeiten. Welcher Vater ein altes Klavier oder eine alte Geige oder
Flöte hätte, oder eine improvisierende Singstimme: der sollte seine und
fremde Kinder zusammenrufen und sie täglich stundenlange nach seinem
Orchester hüpfen und wirbeln lassen — paarweise — in Ketten — in
Ringen — recht oft einzeln — sie selber mitsingend, als Selbst-Dreh-
orgeln — und wie sie nur wollten. Im Kinde tanzt noch die Freude,
im Manne lächelt oder weint sie höchstens. Der reife Mensch darf durch
den Lanz nur die Schönheit der KunsL, nicht sich und seine Empfindung
ausdrücken; Liebe würde sich dadurch zu roh, Freude zu laut und zu keck
vor der ernsten Nemesis gebärden. — Im Kinde leben noch Leib und
Seele in den Flitterwochen einträchtig, und der freudigen Seele hüpfet
noch der lustige Körper nach, bis später beide von Lisch und Bett sich
scheiden und endlich ganz verlassen; der leise Zephir der Zufriedenheit
dreht später die schwere metallne Fahne nicht mehr zu seineM Zeiger um.

^ohannes von Müller bemerkt, daß wir aus der einfachen treuherzigen
OSchreibart der altdeutschen Chronikschreiber sehr unrichtig auf eine
ähnliche Denkart schließen, indem jener SLil bloß den Charakter ihrer
Zeit, nicht ihren eignen ausspricht. Auf dieselbe Irr-Weise legen wir nun
dem kindlichen Ausdruck der Kinder unsre erwachsene Denkart und leihen
ihm dadurch einen naiven Reiz der Lreuherzigkeit, der ihm bei seiner
kindlichen eigentlich fehlt. Aber wir dürfen nicht Verhältnisse des Alters
für Verhältnisse der Gesinnung halten; und was für uns kunstlos vom
Kinde gesprochen dünkt, ist von demselben vielleicht kunstreich gesagt und
gemeint. ! ! ^ i ' ^ !

^^as Spielen ist anfangs der verarbeitete Äberschuß der geistigen und
-^der körperlichen Kräfte zugleich; später, wenn der Schulszepter die
geistigen alles Feuers bis zum Regnen entladen hat, leiten nur noch die
Glieder durch Laufen, Werfen, Lragen die Lebensfülle ab. Das Spiel
ist die erste Poesie des Menschen.

reicher Wirklichkeit verwelkt und verarmt die Phantasie; mithin
^4sei jede Spielpuppe und Spielwelt nur ein Flachsrocken, von welchem
die Seele ein buntes Gewand abspinnt. Kinder haben — ausgenommen
ein- und zweijährige, welche noch den Farbenstachel bedürfen — nur
Zeichnungen, nicht Gemälde vonnöten; Farben erschöpfen durch Wirklich-

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