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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 11 (1. Märzheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0474

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dichtung« (zumal sie auch wirklich
Genießbares enthält) willkommene
Gelegenheit geben, einige Fragen
von „Kino und Bühne" praktisch
nachzuprüfen.

Das Kennzeichen des Dramas ist
nicht die Tatsache, daß lebendige
Menschen sich, wie bei den Natur-
bühnen, in einem natürlichen oder
in einem künstlich hergestellten Raum
bewegen und dabei einen Vorgang,
eine Handlung vortäuschen. Son-
dern: daß mit diesen und andern
Mitteln seelische Vorgänge künstle-
risch ausgedrückt werden, die im
wirklichen Leben selten (auf Einzel-
persönlichkeiten beschränkt) oder doch
als notwendige Einheiten von Ur-
sache, Erscheinung und Wirkung
schwer erkennbar sind. Die Mittel
zu diesem künstlerischen Zwecke sind
in erster Linie die Sprache, in wei-
tem Abstande davon die Gesichts-
mimik, die kleine („nervöse") Geste,
und nur ganz nebenbei die Bewe-
gung des Gesamtkörpers. Nicht zu
unterschätzen ist aber die Bedeutung
des szenischen Apparates, nicht nur
zur Unterstützung der Illusion, son-
dern wegen der Anregung und Sät-
tigung der Sinne. Von all diesen
Dingen steht dem Kinomimen nur
zweierlei zur Verfügung. Erstens,
und zwar sehr unvollkommen und
mannigfach beschränkt, die Gesamt-
bewegung des Körpers. Das Mie-
nenspiel ist hier aus der Nähe be-
trachtet unästhetisch, in der Ferne
sast unwirksam. Zweitens, und dies
zum Teil vollkommener als auf der
Bühne: die Illusionserweckung durch
nicht unmittelbar unterscheidbare
Verquickung schauspielerischer Vor-
gänge mit natürlichem Hintergrund
und natürlicher Staffage. Nur das
erstere, die Körpermimik als Aus-
druck seelischer Vorgänge, ist ein
bühnenähnliches Kunstmittel. Was
zeigt aber der Kino selbst von diesem
gröbsten Rest von Dramatik? In
Wirklichkeit nur den auf

eine Fläche projizierten
Schwarzweißschatten. In der
Tat genügt selbst diese geringste
Möglichkeit, um echt künstlerische
Wirkungen hervorzurufen — besser:
würde sie genügen, wenn nur der
oder die darstellenden Künstler in
der Lage wären, sich auf diese
Schwarzweißwirkung zu beschränken,
aber auch alles aus ihr herauszu-
holen, und wenn die Wirkung einer
solchen Kinomimik durch nichts an-
deres — abgelenkt würde. Dieser
Weg zu einer bescheidenen, aber
möglichen Kunstwirkung ist erfolg-
reich betreten worden in den kine-
matographischen Schatten-
spielen.* Die übliche Kinomimik
aber will viel „höher" hinaus. Sie
will „seelische Vorgänge" wie die
Bühne geben, und dazu, außer dem
gesamten Apparat der Raumszene
auch noch ihre mächtigen Illusions-
und „Trick"-Möglichkeiten verwen-
den. Vergessen ist dabei: daß eben
von allem Bühnenähnlichen die
Leinwand nichts weiter fest-
hLlt als einen Rest kalkiger Schat-
ten ohne Farbe, Plastik, Tiefe, Ton,
Geräusch, Sprache und so vieles an-
dere. Daran scheitert die Kunst
selbst hervorragender Schauspieler
und muß sie scheitern.

Der Film „Atlantis" ist ein end-
gültiger Beweis dafür. Es sind
zweifellos gute, geschmackvolle und
denkende Schauspieler, die hier
die Hauptrollen spielen. Aber man
versuche, das Textbuch zu vergessen '
und die „Titel" nicht zu lesen — und
mit dem besten Willen ist nicht zu
verstehen, was die Schauspieler
mimen wollen, sobald sie irgend
etwas für eine Einzel-Person und
-lage bezeichnendes Seelisches
ausdrücken wollen.

* Der Hallische Dürerbund zeigte
kürzlich als entzückende Probe davon
den Film „Rokoko" der „Braunschwei-
ger Schattenspiele".
 
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