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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 12 2. Märzheft 1914)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0518

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Lose Blätter

Aus den Dichtungen Wladiwirs von Hartlieb

sVor einigen Iahren krönte ein Wiener Preisgericht den „Iung-
reitergesang" eines anonymen Studenten. Es war nicht zuletzt die
Freude an der morgendlichen Welt, die sich darin aussprach, der
Glaube an zukünftige Lebenstaten und die kräftig ausgemünzte Sehnsucht
nach einem lachenden Schicksal, was uns bewog, diesen jünglingsheißrn
Rhythmen Achtung zu bezeugen und ihren kecken Dichter auf seinen
Wegen zu ermuntern. Aber er war ein Kind der Großstadt, und seine
frohgemute Seele erlahmte unter der Last des Nebels, erstarrte in der
Einförmigkeit der tausend Fenster, die ihn beobachteten. Immerhin standen
in seinem ersten Gedichtbuch („Die Stadt am Abend") Schwermut und
gedämpfte Heiterkeit noch im Ausgleich. Das wurde anders, als er nicht
lange darauf in Hunderten von locker aufgebauten Stanzen zornig
die Lava eines unruhig glühenden Herzens aufwarf. „tzerbert" hieß
dies Epos ganz zufällig nach einem jungen Mann, der episodisch auf-
taucht; wie Byron im „Don Iuan" und Liliencron im „Poggfred" legte
Hartlieb hier den kunterbunten Iahrmarkt seiner Lebenseindrücke, seiner
Reisefrüchte, seiner Hoffnungen und Besürchtungen und vor allem seiner
Enttäuschungen aus. Mit leidenschaftlich erregten Schritten stürmte er
an aller gesunden Fruchtbarkeit vorüber; seine Enttäuschung kam der Ver-
zweiflung nahe und in der bald danach erscheinenden dramatischen Dichtung
„Noel" wie auch in der „Änima eanäiäa." überwältigen dauernde Todes«
gedanken die schönsten Bilder, deren Fülle und Krast freilich immer und
immer wieder den Dichter verkünden. Seine letzte Sammlung „Gott fordert
dich" scheint mir überstürzt zu sein.

Seine Weltanschauung ist nicht von der Art, wie sie der Kunstwart am
liebsten hinausträgt. Hartlieb zerschlägt rücksichtslos die ehernen Tafeln der
Äberlieferungen, sein Noel zertrümmert sogar einmal „im Reich der Ge-
danken" den Erdball, die Sonne und alle Sterne bis auf einen einzigen;
aber auch dort, wo er philosophisch verneint, bleibt er künstlerisch positiv.
Der Genius verläßt ihn auch dort nicht, wo Schmerz und Haß den Dichter
durch die bleichen Gefilde der Zwecklosigkeit führen, aber das Mitgefühl mit
seiner irrenden Iugend, die so gertenjung aus jedem Verse springt, bringt
hier das laute ästhetische Ia nicht auf, während überall da, wo er sich
auf Stunden in die Umklammerung des blutvollen Lebens zurückfindet, das
uns andere dauernd umfängt, die Weite seines inneren Schauens, die
Erhobenheit seines Geistes und die Bildkraft seines wortegestaltenden
Mundes unser bedingungsloses Miterleben erzwingen.

Hartlieb ist ein Dichter der Ekstase, die magnetischen Mächte der Ver-
neinung und Bejahung reißen ihn in.die äußersten Winkel der Welt-
betrachtung, aber um so heimeliger fühlen wir uns in seiner Einsamkeit,
wenn wir nur erst den Weg zu ihm zurückgelegt haben. Er läßt uns
dann nicht los, ob er den Fluch der Großstadt singt, die Seuche des
Geldes, den Ruhm Michelangelos oder den Hymnus der Blumen,
Bäume und Wälder, des Wassers, Windes und der Wolke, auf den
er dann die Gesänge der Erde und der Sonne und die immer

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