Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI issue:
Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
DOI article:
Hübner, Friedrich Markus: Der Roman in der Zeitungsrezension
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0108

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
welch ausnehrnende Schätznng dort dern Rornan als Kunstwerk entgegen-
gebracht wird. Man liest eben die Rornane dort unter ganz anderm Ge--
sichtswinkel. Es genügt, in Rorn auf der Trambahn zwei Arbeitern zuzu-
hören, die sich über die neueste Fortsetzung des Feuilletonromans ihrer
Parteizeitung aussprechen. Sie vergessen, daß sie über etwas bloß Ge-
lesenes sprechen: sie ereifern sich,- sie schmähen die eine, sie beloben die
andre Figur; sie schlüpfen hinein in die Fabel und erleben die Gescheh-
nisse feurig am eigenen Leibe. Hernach fällt ein Wort über die Schreib-
art des Verfassers, etwa über seinen besonderen „Schwung" oder über
seine Fähigkeit, sich im Dialekt auszudrücken — und der tzorchende kommt
in Verwunderung über das entwickelte Sprachinteresse und das witzige
Arteilsvermögen dieser zwei namenlosen hemdblusigen Gesellen.

Kreise, wo Reden von Geist und Wert über ein Romanbuch geführt
werden, und wo es zur Würze guter Geselligkeit gehört, einen Roman wie
eine lebendige Schöpfung anzufassen und auszuforschen — solche Kreise
muß man bei uns mit zwei Laternen suchen. Gemeinhin bleibt man beim
Flachinhaltlichen stehen, bei dem, was einen die drei- oder vierhundert
Seiten hindurch bloß unterhielt und spannte. Man macht sich auf Lffekte
aufmerksam, die bei der Bewertung eines Nomans erst an zweiter oder
dritter Stelle kommen sollten: auf das gelungene „Kolorit" einer ethno-
graphischen oder geschichtlichen Situation, auf erzieherische und sentimentale
Hinterabsichten des Arhebers, auf rein modische Aktualitäten darin. And
man harrt bei dem Thema nie lange aus. Man erhitzt sich auch nicht,
man eilt weiter zu kommen zu den übrigen Repertoire-Nummern des
Alltagsklatschs.

Der Roman als Klatschgegenstand — eine Liefere Erniedrigung kann
der Gattung kaum zustoßen. Der Fall ist desto seltsamer, als über andre
künstlerische Gebiete bei uns ein verständiges und ernsthaftes Teilnehmen
sehr wohl da ist. Eine neue Oper, das Auftreten einer neuen Sängerin,
das alles gilt im gesellschaftlichen Beisammensein für wert, sich darüber
auch ein wenig ausführlicher, hartnäckiger, „fachmännischer" auszulassen.
Wie man denn in unsrer Tagespresse die Beobachtung machen kann, daß
über Gemäldeausstellungen, Opernaufführungen, Denkmalserrichtungen usw.
besser veranlagte und mit dem betreffenden „Metier" vertrautere Leute
zu Gericht sitzen, als über dem „Halbgenre" des Romans, das man bloß
als Zerstreuungs-, Kitzel« oder Schlafmittel gelten läßt.

Gewiß, es werden sehr viele Romane, wenn nicht der weitaus größte
Teil, zu keinem andern Zwecke geschrieben als eben dem der untergeordneten
„Zerstreuung". Aber liegt denn in den übrigen Künsten die Sache anders?
And lassen wir uns etwa in der Malerei zur Nichtachtung der ganzen
Kunst hinreißen, weil die Aberzahl der Bilder schwächlicher Dilettanten-
kitsch ist? Verdrießt uns die Plastik, wenn man unsre Zimmerdecken mit
Stuckschnörkeln und die tzausportale mit Iementmasken verziert? Bedeutet
uns die Musik weniger, weil sie numerisch am meisten in Tingeltangel-
liedern, Operettenreißern, Turnvereinsmärschen aufklingt?

Es liegt mir fern, dem Anterhaltungsroman an sich die Daseins-
berechtigung abzusprechen. Aber darauf muß aufmerksam gemacht werden:
daß unser Publikum die dichterisch erzählende Literatur mit Eintags-
schmökern nicht in einen Topf werfe und überhaupt endlich mit jener
suffisant-leichtfertigen Meinung Schluß mache: Romane schreiben könne
jeder . . . Romane lesen aber, das habe ein richtiger Mann noch je belächelt,

77
 
Annotationen