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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Schumann, Wolfgang: Zwei Kulturen der Musik
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Avenarius, Ferdinand: Zu den neuen "Kunstparagraphen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0113

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Mit Bedacht sage ich „Anregungen". Das noch nicht 300 Seiten
starke Werk Halrns erschöpft sein Theina bei weitem nicht nnd ist eher
eine Fanfare als ein Lehrbuch zu nennen. Möge es sich als solche
nicht selbst schaden durch gewisse Eigenheiten, welche leicht befremdend wirken.
Was Halm über neuere Musik anerkennend sagt, ist zu kurz, um überall
anstandlos verstanden zu werden. Vor allem aber die Form-Orthodoxie,
von der ich oben sprach, gehört hierher; sie nimmt oft einen doktrinären
Ton an und steigert sich manchmal zu überspannten Außerungen. Man
fühlt überhaupt, trotz des lehrhaften Zuges des Ganzen, daß mehr künst-
lerische als philosophische Bildung hinter dem Werke steht. Was über
den Begriff Form als Vorzug der Musik vor andern Künsten, über
Sinn und Iweck der Kunst, über den Begriff des Musikalisch-Schönen
beigegeben ist, gehört mit seiner religiösen 1'art pour I'art-Stimmung
zu jenen metaphysizierenden Liebhaberäußerungen, denen nicht mehr Gewicht
zukommt als denen eines Carnegie über Sozialpolitik oder denen Ostwalds
über Kulturwissenschaft. Wer Iohannes Schreyers bedeutende garmonie-
lehre kennt, weiß, daß Bücher ähnlicher innerer Abstimmung und Absicht
ohne solche Digressionen möglich sind. Es gibt aber öffentliche Lagen,
in denen gewisse Anregungen mehr Betonung verdienen als manche kleine
vollendete Tat. In solcher Lage, so scheint mir, befindet sich jetzt die
Musikwissenschaft und das musikalische Denken und Empfinden der Mehr-
zahl. Es ist möglich, Sprache und Technik des tzalmschen Denkens weiter
auszudehnen und auszubilden, und Viele sollten sich in ihrem eignen
und im Interesse der Zukunft darum bemühen. Trotz seiner absichtlichen
und unabsichtlichen Schwernahbarkeit sei seinem Werk darum ein tieser
und breiter Erfolg gewünscht. Wolfgang Schumann

Zu den neuen „Kunstparagraphen"

ch möchte an die Vorgänge bei den Lex-Heinze-Beratungen erinnern,
um heute, wie damals, vor einem Aberspannen des Bogens zu warnen.
Es hat schon einmal zum Zerbrechen geführt. Als jene „Kunst-
paragraphen" im Reichstage zur Debatte standen, gab's einen Antrag:
sie sollten nicht angewendet werden, „wo ein höheres Interesse der Kunst
oder Wissenschaft vorliegt". Nicht einmal ein gewöhnliches, nur ein höhe-
res Interesse — und doch, der Antrag wurde glatt abgelehnt. Selbst

wohin Halrns Anregungen führen können und wohin er mit andern An-
regungen (zum Beispiel bei Gelegenheit der Frage der Verzierungen) führt,
sei hier wiederholt: „Bedient sich Mozart (im Beginn der C-moll-Phantasie)
der Macht des Tonartbewußtseins nicht für den Gang der Handlung, so
gibt er sie, und das zum Schaden des Werkes, gleich zu Anfang der »Phan-
tasie« sogar ebenso offenkundig aus der Hand als sie Beethoven dagegen ver-
mehrt, so wie man die Kraft eines Bogens vermehrt, indem man ihn spannt.
Wollte man dem entgegenhalten, daß Mozart hier eben »phantasiere« und Beet-
hoven nicht, so verschöbe man nur die Frage um eine Etappe. Darum eben
handelt es sich, daß Beethoven mit solchen Werten Ernst macht, daß ihn sein
Lifer um die Form solche erst recht sehen und verwerten läßt, daß er die
harmonisch, sei es ähnlich, sei es vielleicht auch einmal gleichartige Handlung vor-
nimmt, und dabei ihre Wirkung zur gewollten Funktion zugleich bändigt und
erhebt. Bei Mozart ist's eine Neuerung, eine Kühnheit — bei Beethoven eine Er«
rungenschaft; dort Freiheit von Methode, hier Methode und Freiheit zusammen."

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