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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

DOI issue:
Heft 21 (1. Augustheft 1914)
DOI article:
Schmied-Kowarzik, Walther: Das Künstlerische in den Zweckkünsten: auch etwas zur Werkbund-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0211

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Das Künstlerische in den Zweckkünsten

Auch etwas zur Werkbund-Ausstellung

^^ulius Meier-Gräfe hat im Maiheft der „Neuen Rundschau^ einen
^tAufsatz über „Kunst und Kunstgewerbe" veröffentlicht, der mancherlei
^)treffende Bemerkungen enthält, jedoch in seiner Auffassung und Wer-
tung der modernen Zweckkünste entschieden bestritten und widerlegt werden

muß.

Er sagt dort Seite 603 u. f.: „tzäuser, Möbel, Lampen künstlerisch zu
nennen, nur weil sie rationell und geschmackvoll und komfortabel sind,
ist ein begrifflicher Anfug, den die berechtigte Dankbarkeit gegen die Schöpfer
dieser Dinge nicht entschuldigt. Alle diese Dinge können erst Kunstwerke
werden, sobald sie andere Werte empfangen, die neben dem Nutzwert
unwesentlich erscheinen und neben denen der Nutzwert unwesentlich wird.
Schlechte tzäuser, das heißt unbewohnbare, schlechte Möbel, das heißt
unbrauchbare, Lampen, die nicht brennen, Bestecke, die kein Mensch zu
handhaben vermag, können göttliche Kunstwerke sein."

Meier-Gräfe hat vollkommen recht, wenn er in einem Gebilde der Zweck-
kunst einen Wert verlangt, der zu dem Rutzwert noch hinzukommen müsse.
Gewiß, Zweckerfüllung ohne Beteiligung eines ästhetischen
Faktors kann nie ein Kunstwerk schaffen. Aber trifft dieser Vorwurf
unsere moderne Bau- und tzandwerkskunst? Einzelerscheinungen allerdings,
aber die Gesamtheit der tektonischen Künstler modernen Stils, wie sie der
Werkbund zusammenfaßt, sicherlich nicht. Eben jetzt hat tzermann Mu-
thesius in einer Reihe von Aufsätzen, die man als halbamtliche Kund-
gebungen des Werkbunds auffassen darf, „die so oft gehörte Behauptung:
die neuere Kunstauffassung gestalte lediglich nach dem Zweck, dem Material
und der Konstruktion, ausdrücklich bekämpft und als den Zielen des Werk-
bunds fremd, ja widersprechend bezeichnet". Wenn also Meier-Gräfe den
Werkbündlern ohne weiteres den Namen „Künstler^ abspricht und sie
als „Ingenieure" bezeichnet, so hat er offenbar den Anteil des Asthetischen
in ihren Erzeugnissen völlig übersehen/

Die Beteiligung des Asthetischen in den Zweckkünsten ist in der Tat
vielfältig und nicht in einer einzigen Formel und Begriffsgleichung dar-
stellbar.

Das deutsche Kunstgewerbe von den fünfziger bis zu den neunziger Iahren
(und noch weiter) glaubte, daß das Künstlerische mit dem Dekorativen
zusammenfalle, das heißt, daß die Formel der Iweckkunst laute: Zweck -j-
Kunst, Zweck ^ Konstruktion, Kunst ^ Dekoration. Der Fehler dieser An-
schauungsweise lag nicht nur in dem Plus-Zeichen, in der rein äußer-
lichen Verbindung von Schmuck und Baukörper, sondern nicht minder
auch darin, daß die Konstruktion der bloßen Zweckerfüllung gleichgesetzt
wurde. Der Luxus erzeugte übrigens solche Schmuckwucherungen, daß
dadurch auch der Zweck zuschanden wurde.

Die Dekoration ist ein Erzeugnis des Asthetischen in der Zweck-
kunst, aber nicht dessen einziges Erzeugnis. Freilich ist das Ornament am
leichtesten als ästhetisches Gebilde erkennbar, denn sein Zusammenhang
vnt dem Ganzen, dem es gleichwohl in innerlicher Weise eingeordnet sein
sall, ist verhältnismäßig lose, dadurch erscheint es den freien Künsten
aufs nLchste verwandt: wie diese ist es nicht unmittelbar durch Zwecke

^ Abgesehen davon, daß auch ein Ingenieur künstlerisch schaffen kann! K.-L.

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