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Kunstwart und Kulturwart — 27,4.1914

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Heft 21 (1. Augustheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14290#0272

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gestellt. Der Deutsche Verein gegen
den Mißbrauch geistiger Getränke
hat auf seiner Somrnertagung in
Hannover nachdrücklich darauf hin»
gewiesen, wie das Fehlen jedes tzin-
weises auf die Bekämpfung der Al-
koholunsitten im Ministerialerlaß
eine bedauerliche Lücke bedeütet.

Ein viertes Problem: wird die
Vertiefung der Einzelper-
sönlichkeit, die kulturell so viel
bedeutet, nicht über die Erzie-
hung zur Gemeinschaft zu
kurz kommen? Kirche und Natur,
diese zwei großen Dome Gottes, muß
man als Einzelner, als Sich-Ver-
Liefender betreten dürfen. Stunden
stillen Sich-Besinnens dürfen wir an
den Sonntagen nicht über den Mas-
senausmarsch der Iugend vernach-
lässigen. Massendressur und Kriegs-
spiel in großen Gruppen kann den
Wert der einzelnen, kraftvoll eigen-
artig sich entfaltenden Persönlich-
keit nicht ersetzen.

Schließlich aber das schwierigste
aller Probleme: Wird die Iugend-
pflege nicht geradezu familien-
auflösend wirken?

Die Eltern versagen zurzeit in
allzu vielen Fällen. Das ist eine
traurige Wahrheit. Darum müssen
andere Instanzen eintreten. Aber
den Elternhäusern, die selbst Kul-
turwerte bieten, die selbst zu ein-
facher, gesunder Lebensweise anlei-
ten, die selbst Freude am Wandern
erwecken, sollten die Kinder nicht
allzuoft an Feiertagen geraubt wer-
den. Gewiß besteht kein Zwang
für die Iugend, sich an den Anter-
nehmungen der staatlichen Iugend-
pflege zu beteiligen. Aber eine ge-
wisse Massensuggestion wirkt. Die
Eltern und was sie gaben werden
da und dort darüber vergessen wer-
den.

Muß die Iugendpflege einsetzen
— und ganz fraglos tut das in sehr
vielen Fällen dringend not — so
muß man zugleich als Ziel der Iu-

gendpflege aufstellen: Erziehung
einer neuen Elterngeneration,
die dazu hilft, daß die Iugendpflege
gleichsam nur eine Abergangserschei-
nung bedeutet, wenigstens in der um-
fassenden Ausdehnung, in der sie
jetzt betrieben werden soll. In den
jungen Männern und Frauen müßte
der Wunsch erweckt werden, das
einfache, frohe, gesunde Leben, für
das man sie jetzt zu gewinnen sucht,
einst in ihre eigene Familie hinein-
zutragen. Wollen wir aber der Iu-
gend unseres Volkes solches Ziel vor
Augen stellen, so müssen wir zu-
gleich die Möglichkeit eines gedeih-
lichen Familienlebens für unser Volk
schaffen:dieWohnungsnot muß
bekämpft werden, diese schlimmste
Feindin unserer Iugend, die gesun-
des, moralisch einwandfreies Wachs-
tum von vornherein so oft untergräbt.
Die Arbeitszeit der verhei-
rateten Frau müßte möglichst
beschränkt, die Mutter auch durch
Mutterschaftsrenten und Mut-
terschaftsversicherung der Fa-
milie zurückgegeben werden. Wenn
wir in unserer Iugend Wunsch und
Willen erwecken, ein gesundes, ein-
faches, sittenreiness für die Nation
wertvolles Leben zu'führen, so müs-
sen wir ihr auch die Möglichkeit
solches Lebens schaffen. Eine leere
Redensart bedeutet sonst das Wort:
„Dem deutschen Volke soll die Fa-
milie erhalten bleiben." Die Iugend-
pflege darf nicht zu einem Auflösen
des Familienzusammenhangs führen.

Auch nicht für das Familienleben
der Helfer und Führerder staat-
lichen Iugendpflege-Organisationen.
Vom Beruf reichlich beansprucht,
sollte ihnen nicht noch die Möglich-
keit des Zusammenseins mit Frau
und Kind in der Freizeit genommen
werden. Besoldete Iugendpfle-
ger wären zu gewinnen oder die Ar-
beit in der Iugendpflege könnte auf
die Dienstzeit angerechnet wer-
den. Dadurch würde gerade der

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