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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Avenarius, Ferdinand: Am schwarzen Tage
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Spectator: Die Schuldfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0017

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großes Volk hat jemals einen Weg vor sich gehabt, wie durch die nächsten
Iahre wir. Aber schon das Schicksal der Iuden und vor allem das der
Hellenen beweist, daß nicht einmal der staatliche Untergang das Fortwirken
eines Volkes vernichten kann. Amd das ist noch lange nicht gesagt, daß
unser staatlicher Antergang komme. Ls sind nicht die Mindestgescheiten
und Mindestunterrichteten, die daran glauben, daß schon nach wenigen
Iahren Deutschland zum Führer des neuen Europa werden wird. Freilich,
das fordert die höchste Tüchtigkeit, die müssen wir erringen, nnd durch
nichts können wir das, als durch Selbstzucht und durch Arbeit. Da fehlt
es jetzt. Aber wer das ausgehalten hat, was hinter uns liegt, der kann
die Anlagen zur Gesundung noch nicht verloren haben, auch wenn er
krank ist. Den entschlossenen Willen her, die Kräfte zu sammeln, die
Kräfte zu heben! Es ist Mitternacht, aber Sonnwend-Mitternacht im
Weltenjahr. A

Die Schuldfrage

^^^-^un stehen also die anscheinend endgültigen „Friedensbedingungen"
I zur Entscheidung. Entweder die gemäßigte Fremdherrschaft der Lom-
^ ^mission de Reparation und die Gebietsverluste, oder aber Erneuerung
des Krieges, Sperrung des Ruhrkohlengebiets, Erneuerung der Blockade,
Besetzung der Mainlinie durch die Franzosen, Sonderfrieden der Süd-
deutschen, Guerillakrieg mit Polen, erneute Revolutiou in den von Fremden
nicht besetzten Gebieten, dafür aber Hoffnung, daß die Angeheuerlichkeit
all dieser Dinge die Entente sprengt und daß sie sich selbst ad absurdum
führen, worauf dann ein wenigstens in seiner Ehre unberührt gebliebenes
Volk die Kraft zur Selbsterneuerung finden werde, während ein in seiner
Ehre gekränktes Volk, auch bei mäßigem wirtschaftlichen Fortschritt, die
Kraft der Erneuernng nicht mehr finden könne: so etwa standen gestern
in einer Besprechung durch hohe Militärs, Politiker und Gelehrte die
Ansichten sich gegenüber, wobei die Vertreter des Militärs für den ersten
Teil der Alternative sich entschieden und die Erneuerungsmöglichkeiten dabei
immer noch eher gewahrt fanden, als bei einer Zerstörung der Einheit des
Reiches und der Vernichtung der bürgerlichen Klasse in einem großen Teil
des Restbestandes. Die Entscheidung naht, die Wasser steigen täglich näher
an die Kehle, die Frist der vom Ausland ungestörten inneren Auseinander-
setzungen und Neubildungen ist zu Ende, die Abhängigkeit aller inneren Ent-
wicklung von den Eingriffen der feindlichen heiligen Allianz beginnt. Die
Voraussetzungen unseres Daseins werden neue sein, das Verfassungs- und
Ordnungswerk der Revolution und der von ihr erzeugten radikal-parlamen-
tarischen Demokratie muß seine Leistungen bewähren, wenn sie vorhanden
sind. Die Gesamtlage wird eine ähnlich durchgreifende Neuordnung der Struk-
tur crfahren, wie sie vor einem halben Iahr der Zusammenbruch der Armee,
die Vernichtung des Reformwerkes des Prinzen Max und der Ansbruch
der Revolution herbeigeführt hatten. Eine Lpisode der deutschen Geschichte
ist zu Ende, und neue Realitäten schasfen neue Voraussetzungen. Bis diese
Zeilen vor den Leser kommen, wird die Entscheidung gefallen sein. Ich will
daher hier nicht über diese Dinge sprechen, wie denn in meinen Briefen die
Besprechung aller Augenblicksfragen bei dem rasenden Tempo im Wechsel dcr
Verhältnisse, Meinungen und Stimmungen sich von selbst verbietet. Hier kann
sich's nur darum haudeln, die großen allgemeinen Linien der Ereignisse hcr-
auszuheben und die Auffassung durch gute Informationen über das Tatsäch-
liche zu begründen, wie sie mir hier am Orte vielfach zur Verfügung stehen.

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