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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Heuss, Theodor: Phantasie und Baukunst
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Bonus, Arthur: Leben als Mittel
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0035

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Zwei Pole sind gegeben, Phantasie und Konvention. Wir hatten, durch.
Iahrzehnte, eine Konvention des Schlechten, weil sie mit der ungepflegten
Phantasis eines anarchischen Subjektivismus geladen war — dieser hat
sich eine gewisse Pedanterie entgegengesetzt, die mehr reinigend als schöpferisch
war und eher dem anständigen Mittelmaß dienlich als der zeitrepräsen-
tativen Großtat. Läßt sich diese kommandieren? Wird sie durch Linsichten
herbeidiskutiert? Sie bedarf des Mittels eines wagenden Meisters.
Dieser, soweit er eben Künstler ist, wird sich das Recht seines Wesens,
die beherrschte Phantasie, nicht verkümmern lassen und wird den Rationalis-
mus, der ihn umgibt, nicht als Störung, sondern als Grundlage der
eigenen Erhöhung begreifen. Dann wird er beispielhaft sein.

Berlim-Friedenau. Theodor Heuß

Leben als Mittel

^S^in junger Mann träumte einst, wie er an einem sehr hohen Ge-
U^bäude mit hohlen Fenslern vorüberging; er hörte es hinter den
sausen, rasseln, brechen wie von großen schwingenden RL--
dern. Plötzlich sah er vor sich, um sich dünne und, was ihm besonders
schrecklich vorkam, ganz hellrote FLden Blut von dem tzause her über die
Straße in den Kanal fließen, der auf der andern Seite hinführte. Er
hatte sich damals viel mit sozialen Notständen abgegeben, das hatte
dieser Art Gestalt angenommen. Ihm hatte dabei etwas wie Massenselbst-
mord der sozial unter die RLder gekommenen Klassen vorgeschwebt. Nun
dieses Maschinenmorden ganzer zukunftvoller Völker! Ist ein Traum
denkbar, der das gestaltet?

Das Leben ist nicht Zweck, das Leben wäre nicht auszuhalten als Zweck.
Es ist nur als Mittel auszuhalten. Im Grunde gibt es darüber nur eine
Stimme. Man berichtet uns, es seien in keiner Weise besonders
religiös in irgendeinem kirchlichen oder dogmatischen Sinn denkende
Männer gewesen, die draußen das Entsetzliche empfanden und dennoch
sehenden Auges hineingingen — „es muß sein". Ia, was hätte wohl
in gesunden und in sich zusammenhängenden Zeiten eine religiöse Lehre
je andres besagt, als daß sie bewußt zu machen versuchte, was gelebt
wurde! Es wird doch nicht eine Lehre gelebt: es wird ein Leben gelehrt.
Es wird das, was es Starkes, Aufrichtendes, Trotziges, Befehlendes,
Herrschendes, Sieghaftes in uns gibt, gepackt, hervorgezogen, hingestellt,
bewußt gemacht. Das ist Religion, wo sie gesund ist. Bewußtsein starken
Lebens. Bewußtsein seiner Zusammenhänge in alle Ewigkeiten hinein.
Die stärkste, sieghafteste Stunde festgehalten als Kraft für die schwachen
Stunden.

Das Leben ist nur Mittel. Es kann geopfert werden, weil es nur
Mittel ist, sagten doch schließlich diese Millionen, die starben. „Nmsonst
starben", höhnt der Skeptiker. Aber jeder einzelne von ihnen fühlte es
anders, sühlte, daß er für eine Pflicht und für eine Notwendigkeit sterben ging,
wenn er sie auch nicht näher sehen konnte. Es stockt einem das Blut, wenn
man all dieses begeisterten, zukunftfreudigen Lebens denkt, das hinging;
wenn man fich sagt: das ist nun hin, unwiderbringlich. Ein irrer Schuß
tötet tausend ungeborene Gedanken, Iahre wertvollen Lebens. Aber so--
wie wir rückwärts sehen, sehen wir Samen in aufgewühlte Seelen fallen,
Empfänger letzter Willen, — ich denke mir, die Kinder, die jetzt geboren
werden, müssen ein neues Geschlecht werden.
 
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