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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 19 (1. Juliheft 1919)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0049

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nen schlecht behandelt haben, während
die Franzosen gegen die ihrigen voller
Ritterlichkeit waren. Wir alle, die wir
uns in Gefangenenlagern darüber ge-
freut haben, wie man den Fremden
ihr schweres Los nach Möglichkeit er-
leichterte, nnd die wir wohl auch pri-
vate Zeugnisse von der Dankbarkcit
solcher Gefangenen besitzen, wir haben
uns also geirrt! Und vor allem wir,
die wir uns in Nord und Süd und
Ost und West unseres Vaterlandes
darüber freuten, daß wir von einer
Erregtheit unseres Volkes gegen
Kriegsgefangene, von einem Hatz gegcn
sie, von einer Freude an ihren Leiden
nirgendwo auch nur eine Spur be-
merkten. Volksstimmung spiegelt sich
am sichersten in allgemein verbreiteten
Blättern, beispielsweise in Witzblätteru.
Nun frage ich: Ist in irgend
einem deutschen Familien- oder Witz-
blatte auch nur ein einziges Bild
erschienen, das Freude am Miß-
handeln von Kriegsgefangenen ver-
riet? Ich habe während des Krieges
alle deutschen Witzblätter verfolgt
und nicht ein einziges gefunden.
Dagegen in Frankreich! Hätte ich
nicht den Beleg zur Hand, ich würde
glauben, die Erinnerung täuschte mich:
mitunter waren in einer einzigen Witz-
blattnummer drei, ja vier „Scherz-
bilder", bei denen der einzige „Scherz"
im seelischen und körperlichen Ouälen
wchrloser deutscher Kriegsgefängener
bestand. Nicht aus einem einzigeu
Hefte, aber doch aus einem einzigen
Blatte, dem „Nire rouge", sind die
sämtlichen fünf Bilder, die ich hier als
Beispiele anfüge. Vier davon drücken
ganz unmittelbar sadistische Stim-
mungen aus. Nur eines nicht, abcr
das zeugt dafür davon, wie man solche
Stimmungen in Frankreich nährte.
Der Form nach das maßvollste, ist
es der Sache nach vielleicht das ver-
werflichste, denn es betreibt das
Hetzen noch gegen die Gefangenen
weiter. Die Blätter sind dem „Vild
als Narr" entnommen, das noch weitcre
derartige Beispiele bringt. A

„Das Gold gehört auf dieNeichsbank"
ie Iustizräte Iosephsohn in Pots-
dam schreiben hohe Belohnungen
für Wiederbeschaffung von Kostbarkci-

3H

ten aus, die bei den Berliner Novem-
ber-Unruhen im Kronprinzcnpalais
entwendet worden sind. Iede Revolu-
tion wird in den Stunden der Wirrnis
von Verbrechcrn benutzt — es wäre
schon mehr als dumm, „die Revolution"
oder gar „das Volk" für solche Dieb-
stähle verantwortlich zu halten. Aber
eine andre Betrachtung drängt sich auf.
Nach dieser eineu Liste hier sind zu-
sammen mit goldenen AHren, Fedcr-
haltern, Petschaften usw. allein vier-
zehn goldene Zigaretten-
Etuis mit und ohue Edelsteiu bei die-
ser einen Gelcgenheit dem Kronprin-
zen gestohlen wordcn. Wieviele hatte
er wohl insgesamt? And sie alle
enthielt er der Reichsbank vor iu einer
Zeit, da kein Offizier und kein Beamter
mehr, der was auf sich hielt, das kleinste
Stück aus Gold trug, es sei denu im
Trauring, und da Ünbemittelte von
vaterländischem Gefühl sogar ihre Trau-
ringe als „Gold für Eisen" hingabcn?

Man hört immer wieder, auch von
Glaubwürdigen, der frühere Krouprinz
sei besser als sein Ruf. Es schien ihm
wahrscheinlich nicht „gcntlemanlike",
Geschenke uud Sportpreise wegzugeben.
Er war wahrscheinlich beim Abwägen
von Privat- und dhnastischen Iuter-
essen eincrseits und allgemeinen In-
teressen andererseits so ahnungslos wie
die regiercndeu Herrschaften bis in die
letzten Iahre fast alle. Wir haben uns
mehrmals während dcs Kricgs erlaubt,
sie so deutlich, wie das die Zeusur nur
zuließ, an ihre Pflichten zu eriuncru.
Hat auch nur eiuer der reichsten dieser
Herren auf seine Zivilliste, auf seiue
Steuerfreiheit, hat eiuer auch nur auf
seine Portofreiheit verzichtet? Gab cs
auch nur eiu einzigcs wirklich groß-
zügiges Gcldopfcr eines Fürsten an den
Staat? Dagegen: tauchte etwa als
Nebelbild irgendwo ein Thrönchen auf,
wie prompt waren die Kandidaten-
offerten da, auch wenn das betreffende
Volk gar keine wollte! Unsre Dynastien
haben sich iu der Zeit der Volksnot
großenteils ihreu Thron eigenhändig
untergraben. Andre, wie der Kaiser
selbst, taten, was sie für ihre Pflicht
hielten, gcrade der Kaiser sogar in sehr
weitem Maß, aber das Iuteresse der
Dhnastien setzten sie naiv als gleich-
wichtig mit dcn Interesscn des Staatcs,
 
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