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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Avenarius, Ferdinand: Wir fordern unser Gericht!
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0066

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Wir fordern unser GerichL!

ist es> was jetzt vor allem andern und so lange betont werden muß>
Dbis es in der gebildeten Welt kein Ohr mehr überhören kann: wir
Deutschen fordern unser Gericht.

Wir haben den Krieg gewollt und gemacht, behaupten sie, wir sind ver--
antwortlich für ihn, seinen Ursprung und seine Führung, wir, das deutsche
Volk, denn sonst könnte man uns, das deutsche Volk, ja nicht in unsrer Ge--
samtheit dafür „bestrasen". Wir, das deutsche Volk, wir sind der gemein--
same Feind der Menschheit, behaupten sie. Da wir aber Gericht verlangen,
Gericht von Anbeteiligten und Unbefangenen, Gericht, das beide Teile über-
legen hört, Gericht, das nicht in eigner Sache Bußen zum Nutzen der Richter
auferlegt, Gericht, das nicht Bußen unter die Richter verteilt, kurz: Gericht,
das nicht Frevel, sondern Gericht ist — da verweigern sie uns das
Gericht.

Ihr könnt uns bettelarm machen, denn da wir euren feierlichen Worten
glaubten, so ist nun die Gewalt bei euch. Ihr könnt uns krank halten, wie
ihr uns krank gemacht habt. Ihr könnt uns den Bruder vom Bruder reißen,
ihr könnt unserm Vaterland die Glieder abschneiden. Ihr könnt eurer Ge-
schäfte wegen unsre Gegenwart morden und unsre Zukunft ersticken. Ihr
könnt unsre Anterschriften erpressen, unter was immer ihr wollt. Aber ihr
könnt den Ruf nicht verstummen machen: wir fordern unser Gericht.
Schläft die Welt, so wird sie ihn hören, bis sie erwacht. Duckt sich das Ge-
wissen der Vielen in Angst vor eurer Macht ins Schlafbett, so wird man
noch durch die Kissen vor dem Ohr fernher einen Ruf hören, daß man
widerwillig auf ihn hinhorchen muß: »Seid ihr nicht Menschen, was hündelt
ihr?" In alles Reden und Lachen und Geschäftemachen herein wird es
plötzlich von den Wänden flüstern, wie ein Echo, das nicht ersterben kann.
And ihr, die ihr euch für Sieger haltet, wenn ihr Profit auf Profit errechnet
aus eurem gelungenen Werk, so wird es aus euren eigenen Adern euch ins
Ohr flüstern. „Was an allen diesen Profiten ist denn nun wichtig? Und
womit haben wir es bezahlt?" And ein Ahnen wird euch kommen: „Sie
rufen Gott."

Wir fordern unser Gericht. Ein Gericht, vor dem wir beide sprechen, ihr
Vielen als Kläger, wir wenigen als Beklagte. And Anparteiische als Richter.
Ein Gericht, das alles prüfen soll. Alles, ganz in Ruhe, ganz gründlich,
und ganz frei. Wer trug die Schuld am Weltkrieg? Was überhaupt ver-
brachen wir, das deutsche Volk? And wiederum: was tatet ihr? Wir
Deutschen wollen nicht straflos sein, wir haben Strafen verdient, nicht nur

2. Iuliheft lStS (XXXII, ro)

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