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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Um den Sozialismus 3
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Rohrbach, Paul: Ostpolitik, 3: die Baltische Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0070

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Parlamentparteien. Diese waren wieder noch dringender zu solch halb--
positivem Verhalten genötigt, weil die tzauptträger der herrschenden Lebens-
ordnung, die Regierenden, natürlich den Kampf mit dem vordringenden
Sozialismus aufnahmen. Nach einer Zeit der Polizei- und Ausnahmegesetz--
Schikane begannen sie vor allem, sich ihrerseits der Massen auf ihre
Weise anzunehmen, besonders durch sogenannte sozialpolitische Gesetze (Schutz
der Frauen und Kinder, Alters- und Unfallversicherung, hygienische Maß-
nahmen u. v. a.). Da standen nun die sozialdemokratischen Führer oft vor
der Frage: sollen wir ein Gesetz, das offenkundig große Vorteile für die
Arbeiter, unsre Wähler, verspricht, ablehnen, nur weil es ja doch nicht
den Sozialismus verwirklicht, oder müssen wir nicht vielmehr daran mit-
arbeiten, daß es womöglich noch vorteilhafter für jene ausfällt? Dieser
Konflikt, vielfach ausgedrückt in der Parteispaltung „Doktrinäre oder Revisio-
nisten", hat die Sozialdemokraten beinahe vor allen großen Gesetzen der letzten
Iahrzehnte beschäftigt. Tatsächlich haben sie nun sehr häufig und sehr
energisch m i t gearbeitet. Rnd man kann sagen, daß sie, s o gesehen, große
Grfolge erzielt haben. Der eine entscheidende Erfolg aber, „für den der
Sozialist stirbt", war ihnen nicht beschieden. Es ist die große Lebensfrage
von heute, ob sie ihn jetzt erzwingen können oder nicht.

Ostpolitik

3. Die Baltische Frage

ls die große deutsche Kolonisationsbewegung des Mittelalters am

Anfang des (3. Iahrhunderts Livland erreichte, stieß sie dort mit
^^der westwärts sich ausdehnenden russischen Macht zusammen. Die
Russen besaßen im estnischen Gebiet einen wichtigen, bald verlorenen, bald
behaupteten Stützpunkt in Dorpat, wo der Großfürst Iaroslaw cine russische
Burg Iurjew gebaut hatte, uud im Tal der Düna waren sie stromab bis
in die Nähe des heutigen Riga gelangt. Wären die Deutschen nicht nach
Livland gekommen, so hätten die Russen, die hier im äußersten Nordwesten
ihres Gebiets von der Mongolenherrschaft weniger berührt wurden, ihr
Machtgebiet bis an die Ostsee ausgedehnt.

Die Erstürmung des von den Russen verteidigten Dorpat durch die
deutschen Ritter und Pilger unter Bischof Albert von Riga im Sommer (22H
warf die Russen aus Livland hinaus. Auch die kleinen russischsn Teil-
fürsten an der unteren Düna vermochten sich gegen Orden und Bischof
nicht zu halten. Livland wurde deutsche Kolonie. Der deutsche Ritter-
orden machte seinerseits sogar den Versuch, nach Rußland einzudringen,
und nahm vorübergehend Pleskau ein, aber die berühmte Schlacht auf
dem Eise des gefrorenen Peipussees (242 gegen den Großfürsten Alexander
Newski ging für die Deutschen verloren und der Peipussee wurde für
inehr als drei Iahrhunderte die Grenze zwischen Rußland und Livland,
dem äußersten vorgeschobenen Posten des deutschen Reichs. Line wichtige
Folge davon, daß die Russen aus Livland — diese Bezeichnung im ge-
schichtlichen Sinne genommen, nach dem sie alle drei baltischen Provinzen
umfaßt — zurückgedrängt wurden, war die Erhaltung der einheimischen
baltischen Völker auf ihrem Heimatboden. Letten wie Esten wären heute
lauge untergegangen und vom Russentum verschlungen, gleich den finnischen
Völkern an der Oka, Moskwa und oberen und mittleren Wolga, wenn nicht
Livland deutscher Besitz geworden wäre. Zwar lag das keineswegs in der
Absicht der deutschen Kolonisation, aber da der deutsche Bauer damals
 
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