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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

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Heft 20 (2. Juliheft)
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Rohrbach, Paul: Ostpolitik, 3: die Baltische Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0072

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Deutscher". Bei den Letten war ein Teil der jüngeren Generation, die
nur russische Schulen gehabt hatte und nur mit Hilfe der russischen Sprache
die Möglichkeit sah, im öffentlichen Leben einen Platz zu gewinnen,
früher einigermaßen russenfreundlich, aüer auch das hat jetzt aufgehört.
Beide einheimischen Völker verlangen die nationale Selbständigkeit. Die
geographische Lage des lettischen wie des estnischen Gebiets zu Rußland
wird natürlich immer die Notwendigkeit bedingen, daß in Niga und
Reval russische Freihasenbezirke geschaffen werden, aber die Vorstellung,
Rußland könne ohne den Besitz der Ostseeprovinzen nicht leben, ist falsch.
Die direkte Verbindung mit dem Meer durch den Hafen von Petersburg
bleibt für Großrußland immer bestehen. Riga ist so wenig eisfrei wie
Petersburg, und im Winter wird der Revaler Freihafen dem Verkehr
über Petersburg nach wie vor dienen können.

Die ganze baltische Frage hängt aufs engste mit der gesamtrussischen
zusammen. Als Rußland einschließlich der Ukraine noch ein Ganzes
bildete, rückte sein wirtschaftlicher Schwerpunkt je näher zur Gegenwart desto
entschiedener nach Süden, und die Häfen des Schwarzen Meers wurden
wichtiger als die baltischen, weil drei Viertel der Getreideausfuhr durch
sie gingen. Im Süden, d. h. in der Ukraine, befindet sich auch der größte
Teil der Kohlen- und Lrzlager samt der entsprechenden Industrie. Mit
der Trennung von der Ilkraine wird das verbleibende Rest-Rußland trotz
seiner Größe und seiner Bevölkerung von 80—90 Millionen Menschen
zu einem armen Lande. Getreide wird es überhaupt nicht ausführen
können. Als bedeutendes Exportgut bleibt ihm nur Holz, und dieses
wächst überwiegend im Norden, im Gebiet der Newa und der zum Weißen
Meere gehenden Flüsse. Man darf sich auch nicht vorstellen, daß der
Durchschnittsrusse an den baltischen Landen hängt. Die russischen Sol-
daten in Kurland und Livland sagten während der Kämpfe stets: Was
haben wir hier zu suchen, dies ist nicht Rußland, hier wohncn keine
Russen, hier gibt es keine russischen Kirchen! Russische Volkskraft zur
Wiedereroberung des Baltikums wird in Zukunft, in einem absolut dcmo-
kratischeu Rußland, schwer zu entfesseln sein, ausgenommen man zeigte
dem russischen Bauern das Ziel, die Letten und Esten auszurotten und an
ihrem gut kultivierten Besitz seinen Landhunger zu befriedigen. Lin der-
artiger Äberfall wird aber in Zukunft praktisch, falls der Völkerbund
je etwas bedeutet, nicht in Frage kommen. Was im Baltikum angestrebt
werden muß, ist die Verständigung zwischen Esten und Letten auf der
einen, den baltischen Deutschen auf der anderen Seite. Den Deutschen
müssen ihre privaten Besitzrechte und ihre national-kulturelle Autonomie
gewährleistet werden. Geschieht das, so können sie sich mit Letten und
Esten zu einem baltischen Staatsbürgertum vereinigen, so gut wie das
schwedische und das finnische Element in Finnland das haben tun können.

Es gehörte zu der falschen Grundanlage des Friedens von Brest-Litowsk,
daß nicht sofort in den baltischen Provinzen mit dem Letten- und Estentum
eine Verständigung auf freiheitlicher Grundlage gesucht wurde. Daran,
daß die deutsche Kultur im Baltikum fest eingewurzelt ist und daß sie auch
für das lettische und estnische Volk dauernd das Fundament der geistigen
Lntwicklung bleiben wird, kann überhaupt kein Zweifel existieren. Kul-
turell ist das baltische Land eine deutsche Provinz und wird es bleiben,
gleichgültig, welche Sprachen dort gesprochen werden und welches die
zukünftigen politischen Lebensfonnen sein werden. Das empfand selbst

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