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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1919)
DOI Artikel:
Troeltsch, Ernst: Demokratie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0115

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Dernokratie

ber Nacht sind wir zur radikalsten Demokratie Europas geworden
1 I und müssen das noch als die relativ gemäßigte Lösung unsres politischen
^^Lebensproblems betrachten. Bedenkt man es genauer, dann ist es frei-
lich doch nicht so ganz über Nacht geschehen. Die Demokratie ist die natürliche
Konsequenz der modernen Bevölkerungsdichtigkeit, verbunden mit der zu ihrer
Ernährung notwendigen Volksbildung, Industrialisierung, Mobilisierung,
Wehrhaftmachung und Politisierung. Sie war in Preußen-Deutschland seit
18^8 niedergehalten durch die preußische Berfassung und das preußische Mili-
tärsystem, strebte aber gegen beides beständig mächtig in die Höhe. Liest
man in diesen Tagen Fontanes klassische Schilderungen der preußischen
Herrenschicht, so sieht man, daß diese im Grunde sich vor allem mit dem
Gedanken der Niederhaltung dieser Bestrebungen trug und dabei selbst von
einem gcwissen pessimistischen Fatalismus nicht loskam. Der furchtbare
Weltkrieg mußte ganz von selbst die Demokratie zum Siege bringen und hat
überdies die Gefahr gebracht, daß es nicht einmal bei ihr bleibt, sondern
daß die „Diktatur des Proletariats" die Form einer terroristischen Minder-
heitsherrschaft annimmt. Nur wenige werden gezweifelt haben, daß min-
destens in seinem Gefolge das preußische Wahlrecht zerbrechen oder gegen
einen siegreichen Militarismus in schwersten inneren Kämpfen aufgelöst wer-
den würde. Geschah aber das, dann waren die Folgen unabsehbar, eine voll-
kommene Nevolution des preußisch-deutschen Systems. Dauer und Gang des
schicksalsvollen Krieges haben dahin geführt, daß ganz zum Schluß angesichts
der drohenden Niederlage die demokratische Revolution von der legitimen
Regierung selbst vorgenommen und die alte Militärmonarchie in eine ledig-
lich repräsentative Verkörperung der Volksmehrheit verwandelt wurde wie in
England, Italien, den Niederlanden usw. Der Weg der notwendigen und
unumgänglichen Entwicklung aller modernen Staaten schien auch bei uns er°
öffnet, ja beinahe zum Ziel geführt zu haben. Es kam spät und als Wirkung
einer Niederlage statt rechtzeitig und als Antwort auf große, siegreiche Lei-
stungen einer ungeheuren Volkskraft. Aber es kam, und die Bahn für eine
volkstümliche, sozialen Organisatiynsforderungen geneigte Innenpolitik schien
betreten, auf der der Wiederaufbau einer ganz zerrütteten Volkswirtschaft
und einer zerbrochenen politischen Weltstellung unter ganz neuen inneren
und äußeren Verhältnissen versucht werden konnte. Die Lage war furchtbar
ernst, aber man sah doch einen Weg in die Zukunft, ein Band, das die
Festigkeit der alten Ordnung in die neue einigermaßen überleitete.

1. Augustheft ,Y,s (XXXII, 2,)

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