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Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1919)
DOI Artikel:
Menzer, Max: Vom Wesen und Wert einer volkstümlichen Philosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0125

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nehmsten Kulturziele aufgestellt werden, daß jeder durch eignes Denken zu ciner
solchen Vorstellung gelange. Denn nur Erkenntnisse, die durch cigne Denkarbeit
gewonnen wurden, werden zu ureigenstem Besitz und tragen zur Persönlichkeits-
bildung bei. So müssen auch anziehende, von anderen Denkern geformte Ge-
danken und Systeme durch eignes intensives Durchdenken erworben werden,
wenn man — mit Goethe zu reden — sie „besitzen" will.

Eine Philosophie jedoch, die von den Ergebnissen der exakten Wissenschaftcn
ausgehend und diese miteinander verknüpfend zu einer möglichst geschlosfenen
und harmonischen Vorstellung vom Weltganzen zu gelangen sucht, wird in
Zukunft um so mehr Bedürfnis werden, als alle religiösen Vorstellungen der
Vergangenheit mehr und mehr versagen. Sie wird um so sruchtbarer sein,
je enger sie mit dem wirklichen Leben in Verbindung bleibt; drängt doch dieses
Leben selbcr in der Gegenwart immer schärfer zu einer Neuorientierung in all
den großen Daseinsfragen, von deren glücklicher Lösung zum guten Teile mil
der weitere Aufstieg der Menschheit abhängt. Diese Erkenntnis dürfte es auch
gewesen sein, die einem Marx und einem Engels es wünschenswert erscheinen
ließ, die breitcn Massen im philosophischen Denken zu schulcn.

Eine volkstümliche Philosophie wird zunächst und vor allem auf die Aragen
Antwort geben müssen, die sonst vom religiösen Mhthos und Dogma beant-
wortet wurden, auf die Fragcn uach dem Lharakter der Welt und nach der Be-
stimmung des Menschen. Für einen logisch denkenden Menschen ergibt sich
aus der Beantwortung dieser Fragen auch die Beantwortung der sozial-philo-
sophischen und ethischen Fragen. Wer umgekehrt nach einer durch seine Stellung
im Leben bedingten Sozialphilosophie sich ein entsprechendes Weltbild kon-
struiert, das mit der wirklichen Welt im Widerspruch steht, wird früher oder
später damit Schiffbruch leiden. Weil er aber zugleich kürzere oder längere
Zeit als Hemmschuh in der Aufwärtsentwicklung der Menschheit wirken kann,
ist es nötig, daß möglichst Viele das wirkliche Wesen der Welt und ihre Forde-
rungen erkennen.

Die Organisierung und heranbildung der menschlichen Gesellschaft zu einer
den allgemeinen Weltgesetzen entsprechenden und harmonisch dem Weltganzen
sich «infügenden kulturellen Höchstform wäre dann bedeutend leichter. Aber
von dcr größten Bedeutung wäre eine volkstümliche Philosophie für den Einzelnen
selbst.

Die unwägbaren Werte entziehen sich ihrem Charakter nach der naturwissen-
schaftlichen Untersuchung. Aber gerade sie bilden einen wesentlichen Bestandteil
höheren kulturellcn Lebens. Deshalb soll eine volkstümliche Philosophie er-
gänzen und weiterbauen, wo die naturwissenschaftliche Forderung versagt, ohne
jedoch die Lrgebnisse dieser unbeachtet zu lassen oder gar zu vergewaltigen. Das
ist auch zu allen Zeiten von der Philosophie, insofern sie volkstümlich war,
so gehalten worden, nur daß in früheren Zeiten die naturwissenschaftliche Er-
kenntnis so gering war, daß sie den verschiedenartigsten philosophischen und
religiösen Vorstellungen vom Wesen der Welt Raum ließ. Diese sind heute
durch das ständige Wachsen jener zum größten Teile überwunden, aber das
Bedürfnis nach einer bcfriedigenden Philosophischen Weltbetrachtung, die sich
rm Einklange mit den Ergcbnissen der exakten Forschung befindet, ist zugleich
gewachsen.

Wo der Mensch früher den blinden Zufall oder die Willkür eines Gottes
walten sah, erkennt er jetzt das Gesetz von Ursache und Wirkung und er kann
darnach seine Handlungen einrichten. Aber nicht nur das Chaos der Umwelt
kann er so durch seine erkennende Vernunft bändigen, auch das Lhaos in
der eignen Brust wird er mit ihrer Hilfe harmonisch bilden lernen, und wenn
er früher gezwungenermaßen in seinen Handlungen dem kategorischen „Du
sollst" gehorchte, entscheidet nun das freimenschliche „Ich will". Mit der Er°
ringung dicser inneren Unabhängigkeit nnd Freiheit wird der Mensch aber
erst zum vollen sittlichen Wesen, das mit Bewußtsein sein Leben formt und
sich der Tragweite seiner Handlungen wohl bewußt ist. Lin konsequentes Durch-
 
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