Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 32,4.1919

DOI Heft:
Heft 22 (2. Augustheft 1919)
DOI Artikel:
Lange, Konrad von: Die Illusion im Theater, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14424#0175

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Man sieht, der Zustand, den Martersteig hier statniert, stetlt den höchsten
Grad der Illusion dar, das Wort im früheren Sinne, d. h. im Sinne der
Tänschung genommen. Denn der Schauspieler täuscht sich ja unter dieser
Voraussetzung wirklich über sich selbst. Er glaubt, wirklich Lear oder hamlet
zu sein. Er erlebt während des Spieles nur die Gefühle seiner Rolle, Haß,
Liebe, Kummer, Furcht, Mitleid usw. Er erlebt dagegen nicht die Vorstellungen,
die mit der Selbstdarstellung seiner Person zusammenhängen, d. h. die technischen
Mittel, mit denen er das Publikum zu dem Glauben an seine Verwandlung
zwingt. Dieser Standpunkt, der sich völlig mit der ästhetischen Einfühlungs--
thcorie dcckt, entspricht offenbar ganz der realistischen Forderung, aus der die
Illusionsbühne hervorgegangen ist. Es ist deshalb kein Zufall, daß auch
Richard Wagner ihn vertritt, indem er sagt: „Der Schauspieler muß von der
Handlung der von ihm gespielteu Person bis zur völligeu Auf-
hebung seiner realen Persönlichkeit erfüllt, ja recht eigentlich
besessen sein, er muß sich in jenen Zustand der Ekstase versetzen können,
der sein ganzes Leben und Trachten einzig erklärt und rechtfertigt." (Vergl.
Martersteig, S. 7(ff.)

Auch hier wiederum machen wir die Beobachtung, daß die Anschauungen
sich seit dem Aufkommen des Neuiüealismus oder der Stilkunst völlig geändert
haben. So sagt z. B. Endemann S. 3? ff.:

„Ieder Schauspieler weiß, daß der Zuschauer in ihm eine bestimmte dichterische
Figur mit all ihren Leidenschasten sehen soll; er erkennt also etwas Aktives,
nämlich das Hervorrufen einer Illusion im Zuschauer, als seine Aufgabe an.
Aber er braucht seine Rolle am Abend gar nicht wirklich zu empfinden, er
braucht ihre Leidenschasten auch nicht einmal vorher empfunden zu haben:
ein Zurschautragen der äußeren Symptome genügt, wenn
nur der Schauspieler seinen Körper genau kennt und sich selbst des tiefen Zu--
sammenhangs der vorgetäuschten Gefühle mit den entsprechenden körperlichen
Ausdrucksformen bewußt bleibt. Mit rein verstandesmLßigem Abertragen der
eigenen oder fremden Erfahrungen und Beobachtungen wird er sein Publikum
allerdings nicht recht warm machen können: eine gewisse Autosuggestivität, ein
gewisses Sichempfänglichzeigen für die Skala der menschlichen Leidenschaften
darf aber neben aller äußeren Gewandtheit und Treffsicherheit von jedem
Schauspieler gefordert werden. Deswegen bleibt er immer noch außerhalb der
von ihm geschaffenen Rolle; und «s ist alles andere als paradox, wenn man
sagt, er habe auf der Bühne Wichtigeres zu tun, als gerade
das, was der Dichter durch ihn ausgesprochen haben wollte,
wirklich zu empfinden: nicht sich selüst hat er zu spielen, ja nicht ein-
mal die »subjektive Illusion« soll er so, wie er selbst sie durch die dichterische
Vorlage empfangen hatte, wiedergeben; vielmehr soll er immer einen
Anderen spielen und uns an ihn glauben machen. Demgegenüber wäre
es müßig, nach dcm Verbleib der eigenen Persönlichkeit des Schauspielers zu
fragen: sie wird überall durchschimmern, wenn er eine hat."

Sowohl Martersteig als auch Endemanu urteilen auf Grund ihrer künst-
lerischen Erfahrung, d. h. auf Grurrd von Selbstbeobachtung. Dennoch kommen
sie zn ganz entgegengesetzten Ergebnissen: ein sicherer Beweis, daß die Sclbst-
beobachtung, auf die unsere Psychologen so viel Wert legen, allein nicht zur
Erkcnntnis psychischer Tatsachen genügt, soirdern daß die Beobachtung anderer
hinzukommen muß, wenn haltbare Ergebnisse gewonnen werden sollen. Solche
Beobachtungen liegen nun hier in großer Zahl vor. Schon Lindau hat sie
in „Nord und Süd" in einem Aufsatz „über die Kunst des Schauspielers" zu-
sammcngestellt. Martersteig konnte sie durch Umfragen, die er bei bc-
deutendcn Schauspielern anstellte, noch vermehren. And was lehren diese
Zeugnisse? Nichts anderes, als daß der Gegensatz, der zwischen Martersteig
und Eirdemann besteht, eine durchgehende Erscheinung ist, d. h. sich überall
wiederfindet. Die eine Hälfte der Schauspieler nämlich bchauptet, auf der
Bühne die Inhaltsgefühle wirklich zu erleben, die andere dagegen versichert mit
 
Annotationen