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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1920)
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Schumann, Wolfgang: Volksbildung neuer Art?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0089

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Volksbildung neuer Art?

^^^-iemals sieht man so deutlich den Abstand zwischen voraneilender
/ Theorie und nachhinkender Praxis, zwischen fortgeschritteMM Führer-
^ ^tum und zurückgebliebenen Großbetrieben, wie auf Kongressen, wo
die Führer und die Vertreter der entwickelten Organisationen sich aus-
sprechen. Für Ende September hatten das Preußische Kultusministerium,
das österreichische Volksbildungsamt und der Ausschuß der deutschen Volks-
bildungsvereinigungen eine Volksbilduugstagung einberufen nach
dem österreichischen Innstädtchen Braunau. Liue überwältigende Fülle
von Gedanken und Auregungen wurde hier ausgebreitet. Schon R. von
Erdbergs einleitender Vortrag über „Die Gestaltuug der freien Volks-
bildungsarbeit nach den Forderungen und Voraussetzungen der Gegen-
wart" brachte mancherlei grundsätzliche Klärung. Es ist noch nicht lange
her, da saßte man Volksbildung auf als eine Beglückung des Volkes mit
Massen von Veranstaltungen, Büchern, Darbietungen aller Art. „Auf-
klärung" wurde getrieben, mit großen Kannen ließ man das Wissen nieder-
gießen aus das Volk, mit patriarchalischer Gebärde wurden populäre Schriften,
Vorträge, Aufführungen, Zeitschriften usw. zu niedrigem Preis jedem Be-
liebigeu zur Verfügung gestellt. „Kenntnisse" wurden verbreitet,- politisch
und kirchenpolitisch vermeintlich „neutral" arbeitete man in großen Or-
ganisationen im Dienste Aller, ohne Unterschied und ohne Ansehen der
Person. Typisch dafür sind jene Riesenbibliotheken, wo Zehn- und Hun-
derttausende von Büchern die Regale bedecken und jeder Entleiher sich
nach Belieben holt, was ihm dem Buchtitel nach gefällt; Bibliotheken mit
Millionenziffern, wenn man die einzelnen Entleihungen zählt. Wie viele
Enttäuschungen die Entleiher erlebten, wie viele Bücher sie ungelesen
zurückgaben, wie viele Leser durch für sie unbrauchbare, ja durch für
alle minderwertige Bücher irregeführt, abgeschreckt und verbildet wurden,
das sreilich zählte man nicht. Der Begriff des minderwertigen, in die
Volksbibliothek nicht gehörigen Buchs war den Vertretern des unantastbaren

Novemberheft 1920 (XXXIV, 2)

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