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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1920)
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Haldy, Bruno: Deutscher Hausrat
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Erdmann, Karl Otto: Das Doppelgesicht der Toleranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0170

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lange bestehen, aber fie hat lediglich den Zweck, eben durch ihre Massig--
keit zu wirken. Doch mildert man sie durch eine spielerische Art des
Beiwerks und bringt eine neue Lrfindung aufs Tapet, mit der sich die
überraschendsten Wirkungen erzielen lassen: das Furnier. Schon in der
Zeit der Renaissance hatte die Linlegearbeit stark an Boden gewonnen,
jetzt, inr Barock, beherrschte sie den Geschmack, mußte aber schließlich wie-
derum dem vollen Furnier weich^en.

Hielt sich schon das Spätbarock nicht mehr an die seither gültigen
Gesetze, oft genug leider auch nicht an den guten Geschmack, so betrachtete
sich das nun folgende Rokoko als völlig unabhängig. Es wird ganz von
dem beherrscht, was wir Launen nennen. So entstanden jene Möbel, die
noch heute als Zeugen einer vergnügten, lebenskundigen nnd oft auch
ziemlich nichtsnutzigen Zeit von empfindsamen Seelen gesucht werden. Nun
wurde auchl die Zahl der verschiedenartigen Möbelstücke Legion. Während
die Renaissance einen entschieden männlichen Zug trägt, kann man dem
leichten Rokokogelichter einen entschiLden weiblichen Lharakter schwer ab-
sprechen.

Der Klassizismus, der das Rokoko ablöste, bedeutete zwar nicht in
allem einen künstlerischen Fortschritt, aber er brachte doch so etwas wie
eine Erlösung aus dem Launentanze des Rokoko. Was uns heut oft
befremdet, das war seine anscheinende Nüchternheit, seine Kühle, die nur
eine ganz leise Andeutung von Luxus in sparsamen Verzierungen duldete.
Diese Einfachheit war indes recht wohl angebracht, denn sie führte zu
einem Zeitabschnitt, der in seiner Nüchternheit alle bisher dagewesenen
Perioden überbot und dennoch später als einer der liebenswürdigsten noch
einmal neu auflebte: zum Bieder'meier. Das Biedermeier konnte sich
nicht künstlerisch nennen und' wollte es auch nicht,- es war zunächst einfach
ein Zugestärrdnis an die politischen und wirtschaftlichen Nöte der Zeit.
Dadurch aber, daß man der Kümmerlichkeit den heiteren, wenn auch noch
so bescheidenen Glanz der Lebensfreude zu geben vermochte, wurde der
Biedermeier-„Stil" lebenskräftig und daseinsberechltigt. Das Biedermeier
ist der letzte der historischsn Stile, die wir als solche gelten lassen können.
Er gab den „Alltag", aber er gab ihn ganz fein künstlerisch getönt. Erst
nach dem Biedenneier kam der geistlose Werkeltag mit seiner Nachahmung
und seiner Pfuscherei. Man bekam wieder Prunk und Glanz, aber mit
wenig Ausnahmen aus Talmi. B. Haldy

Das DoPPelgesichL der Toleranz

/^v^-er sich über Intoleranz ereifert, denkt meist an die brutalsten Er°
« Hscheinungsformen vergangener Zeiten: an Religionskriege, Metze-
^^»^leien, Bluthochzeiten, an Ketzerversolgungen mit Rad und Schwert,
mit Folter und Scheiterhaufen- an den Feuertod des Giordano Bruno
oder den Giftbecher des Sokrates. Es ist sreilich etwas wohlfeil, die
Maßstäbe der heutigen Denkweise an das wesentlich andere Lmpfinden vor
allem des ganz unsentimentalen Mittelalters oder der Renaissance anzu-
legen. Nnd man sollte niemals (wie zum Beispiel Graf Hoensbroech*
tut) einzelnen Personen oder Konfessionen eine Anschauungsweise zum

* Vergl. Pilatus sViktor Naumann): „Was ist Wahrheit?". Diesem Werke sind
zwei der folgeirden Anführungen entnommen.
 
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