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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

DOI issue:
Heft 1 (Oktoberheft 1922)
DOI article:
Haës, K. W.: Frage an die Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0021

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— als ob die bildende Kunst vergessen hätte, was sie kann und darum muß:
die Welt abbilden, das Menschliche ausdrücken und, was in schwankender
Erscheinung schwebt, befestigen in dauernden Werken. Die „neue" Kunst —
man nannte sie wohl Futurismus, weil sie die Zukunft vorbereitete, oder
Lxpressionismus, weil sie Ausgepreßtes aus gequälten Menschen war, aber
wie immer und iwarum man jsie 'so oder so nannte, ihr wißt, was ich meine —
diese Kunst, die noch heute vorwaltet, ist dann gekommen. Ich habe sie mit
Leidenschaft aufgesucht. Gut!, so dachte ich, das wirklichkeittreue Abbilden
der Welt befriedigt die Künstler nicht mehr. Sie wollen lauter, freier und
mit heißerer Cnergie von sich selber zeugen. Wir werden mehr Persönlich-
keiten zrr Gesicht kbekommen und weniger Gegenständliches. Sie werden Natur
und Wirklichkeit vergewaltigen, aber umso zwingender die restlose Ganzheit
eines bewegten Wenschtums dartun. Aber ich wurde enttäuscht: ich sah xcur
Wenige, die anscheinend ein Ganzes wollten und auf dem Wege dazu waren.
Das Äbrige war — Skizze. Mappen und Wände, Zimmer, Säle voll von
Skizzen.

Und nun meine Frage: was bedeutet diese Skizzenwirt-
schaft? Was wollt ihr mit dem Ausstellen und Darbieten eurer Frag-
mente und Bersuche?

Zur Erläuterung der Frage muß ich noch einmal ausholen. Ich vergleiche
andere Künste: lassen die Dichter ihre Borstudien drucken? Die Musiker
ihre Motiv-Notizbücher? Ia, man hat wohl Beethovens Taschenbücher in
Faksimile nachgebildet. Aber erst, als seine Symphonien die Welt erobert
hatten. Man hat in Gesammelten Werken von diesem oder jenem auch
Unvollendetes gedruckt und Einblicke in seine „Werkstatt" eröffnet. Aber
ich erinnere mich nicht, daß Dehmel Bände von lyrischen Bruchstücken, tzaupt-
mann dramatische Szenenstudien hätten drucken lassen, oder daß Reger
zwanzigtaktige Einfälle, Mahler Teile eines Liedes aufgeführt hätten. Ich
glaube auch nicht, daß es zu solchem kommen wird. Ihr aber, bildend-malende
Freunde, tut das Entsprechende jeden Tag. Wie gesagt, ich weiß nicht,
warum ihr es tut. Aber ich bitte euch, bedenkt, was das für andere bedeutet.
Skizzen und Versuche, so scheint mir, sind eure eigenste Sache; sie sind Zeug-
nisse einer technischen und zuweilen einer seelischen Entwicklung eurer Per-
sönlichkeit. Ohne sie würdet ihr nicht fertig. Sie sind das chaotische Abbild
eurer Biographie. And nun muß ich ein hartes Wort sagen: was geht
uns eure Biographie an? Offenbart euch euren persönlichen Freun-
den, aber laßt uns mit dem allzu Zeitlichen eures Privatdaseins zufrieden!
Dieses Wort ist hart, ich gestand es schon. Ich nehme es im Vorhinein zurück
für den Fall, daß ihr mir einen Sinn der Skizzenausstellerei angebt. Aber
bis dahin muß ich dabei beharren: Kunst betrachten rechtfertigt sich durch
die tzoffnung: ich werde die geistige, seelische, dingliche Welt, das volle
Wesen und Wenschtum der Künstler nun vielleicht in Abbild und Aus-
druck schauen dürfen, die das Werk einer Persönlichkeit sind. Ich verlange
nicht Werke von höchstem Rang; auch schwächere,Könner und mindere Geister
sollen und müssen ihre Werke zur Schau stellen. Man führt nicht nur
Mahler und tzauptmann auf, auch Gräner und Paul Ernst. Aber ihre
Werke! Während ihr tausendfach eure nichtigsten Erlebnischen, eure Mo-
menteindrücke, eure Minutenstimmungen, eure rein persönlichen Angele-
genheiten hinstellt. Und — anscheinend — auf „Werke" schon verzichtet.
Das ist es, was ich nicht begreife. Nicht wegen der „Schamlosigkeit" dieses
Tuns, denn auch „Werke" sind in diesem Sinne oft genug schamlos. Aber
 
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