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Kunstwart und Kulturwart — 36,1.1922-1923

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Heft 2 (Novemberheft 1923)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Sprechendes Kino: Filmvergangenheit und Filmzukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14437#0129

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forciertern! Welches Trommelfeuer von praktischen und unpraktischen Vor«
schlagen! Welcher Aufwand von juristischen, literarischen, ästhetikwissenschaft«
lichen, sozialpsychologischen Kenntnissen und Gedanken! Und der Erfolg?
Der Film, den man bekämpfte, ist groß und mächtig und trägt mühelos die
unbedeutende Fessel des Kinogesetzes. Der, den man haben wollte, fehlt.
Ein paar Versuche mit Trick- und Märchenfilmen, einige mit- „bildenden"
Filmen, eine geduldete Sonderabteilung ausgesprochener Lehrfilme — das
sind die geringen Früchte. Und wenn etwas Erträgliches gemacht worden ist,
Haben es Schauspieler von Wegeners oder Bassermanns Rang auf eigene
Faust unternommen und durchgeführt, und die „Reformer" haben ihnen
herzlich wenig beigestanden. Eigene Unternehmungen der Reformer blieben
mehr oder weniger hilflos. Ihren geringen Leistungen entspricht ihre öffent-
liche Stellung. Solche Dinge sind schwer zu schätzen; doch will mir scheinen:
erstens, zur Kino-Industrie stehen die Reformer etwa wie ein armer, Höchst
leidig-lästiger Liebhaber zu einem reichen Mädchen; zweitens, die öffent-
liche Weinung hat die Reformer satt, Hauptsächlich in dem Gefühl: laßt mich
nun endli.ch Taten sehen!

And eigentlich haben beide recht. Der ständige Utopismus der „Kultur"-
Leute mußte die Industrie schließlich abstoßen. Das ständige tatenlose Ge-
rede, noch so klug, mußte die Öffentlichkeit schließlich langweilen. Der Ur-
grund der Fehler liegt aber, so scheint mir Wiederum, in der negativen tzal-
tung der Reformer und in ihrem überspannten Wollen. Man hat unsäglich
gegreint und geschimpft, Polizei, Staatsanwalt und Staat angerufen, aber
nichts selber gemacht. Und wollte man selber etwas machen, dann sicherlich
höchst noble, hochkünstlerische, „bildung"strotzende, „kultur"überfüllte Dinge,
die geschäftlich von vornherein aussichtslos waren. Sprechen wir es doch
aus: man hat den Kompromiß gescheut und darum gar nichts erreicht.

Was aber wäre zu machen gewesen, und was ist heute noch zu machen?
Ich werde mich hüten, meine Vorschläge hier auszubreiten. Einstweilen habe
ich einen Eid geleistet, nicht unter die Wort-Reformer zu gehen. Ich weiß
auch in Wahrheit einiges, aber beileibe nicht alles, was etwa zu machen
wäre. Rur eins scheint mir gewiß: aus dem Kino wird nur der „etwas
machen", der selber filmt. Darauf kommt es an, daß endlich Leute in die
Filmerei hineingehen, sie praktisch beherrschen lernen und aus ihren Be-
dingungen Heraus etwas schaffen, Leute von Phantasie, geistigen Ansprüchen
und gutem Willen, ganz ohne angelesenen und systematisch tief durchdachten
„Kultur"-„Idealismus". Man denke etwa, daß Max Reinhardt sich ver
Sache einmal zugewandt hätte. tzätte er nicht unendlich viel Würdigeres
zustandegeb^acht, auf jeden Fall zustandegebracht, als die namenlosen Regis-
seure, die uns heute allwöchentlich beglücken? Vielleicht wäre es nicht ideal
geworden, aber es wäre ein Anfang gewesen, mindestens. Oder Karl Schön-
herr. Oder Björnson. Oder Kellermann. Nicht einen Roman sollen sie her-
geben für Verfilmung, nicht einmal nur einen Film-Text schreiben, nein:
einen Film machen, im Atelier, lernend von den Routinierten und sie lehrend
zugleich. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn man das nicht
könnte! Nach ein paar Iahren dann würde man schon sehen, was da eigent-
lich an Möglichkeiten steckt. Und dann wollen wir wieder von Reform reden.

Ich glaube, die Kino-Industrie wäre gar nicht gekränkt, wenn ihr etwas
mit Phantasie und Geschmack und sogar „Kenntnissen" beigesprungen würde;
nur mit dem verschluckten Ladestock hoheit- und würdevollen Kulturbewußt-
seins darf man freilich nicht kommen. Was man so im Kino sieht, verrät
 
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