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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

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Heft 10 (Juliheft 1923)
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Schumann, Wolfgang: Gemeinschaft, Geltung, Macht, Erwerb und Besitz: (Siebenter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins) , [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0182

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Besitz und reicher Erwerb Macht in recht weitem Amfang, so häufig auch
diese Macht von Menschen schwachen Machttriebes nicht ausgenutzt wird,
und so gewiß es ist, daß auch der Reichste noch ganz anderer Kräfte bedarf,
um weittragende Macht auszuüben, als der materiellen des Besitzes. Psy«
chologisch aber liegt es tatsächlich so, daß die Kombination oder Summe
solcher Täiebe zum Erwerb anspornt und täglich hindrängt, eine Art
„Zwangs-Gewohnheit" schaffend, wie man das rastlose Erwerbstreben und
die stete Besitzgier recht treffend benennen könnte. Indem sich der Mechanis-
mus dieser Gewohnheit, Einstellung auf das Ziel und die Mittel, seelisch
in täglicher Äbung einspielt, gewinnt er nun allerdings allmählich eine
gewisse Ähnlichkeit mit dem Walten eines echten „Triebes"; ja, er über-
wuchert unter dem Zwang der Lage tatsächlich in Millionen alle, in Hun-
derttausenden fast alle Triebe überhaupt und charakterisiert große Teile
der Menschheit beinahe am deutlichsten, vom Geschäftsmann bis zum Pro«
letarier, vom Rentenhysteriker bis zum seelisch armseligen „Verwalter"
seines Vermögens. Dennoch bleibt der Anterschied beider fühlbar und
überdies wichtig und bedeutsam.

Zu der Struktur des öffentlichen Lebens trägt das Erwerb- und Besitz-
streben Wesentliches bei. Empfängt dieses einen Großteil seines gröberen Ge-
präges, die langfristigen und vielumfassenden Verhältnisse und Ordnungen,
vom Machttrieb — denn dieser wirkt sich z. B. sowohl in der staatlichen
Ordnung und im Klassen-Wesen wie im Groß-Anternehmen aus, das
keineswegs als reine Erwerbs-Angelegenheit gelten kann — so spielt Er-
werb- und Besitzstreben schon in diese Wirksamkeiten des Triebes dauernd
und mächtig hinein. Daneben aber gestaltet sich das Erwerbstreben, wel-
ches sozusagen nicht mehr Macht sucht als für ungehinderten Erwerb nötig
ist, das relativ „reine" Erwerbsstreben, die Verkehrs-, Umsatz- und Rechts-
formen des geschäftlichen Lebens verhältnismäßig selbständig nach seinen
Bedürfnissen und für seine Zwecke aus. Eine starke entgeistigende Strömung
durchzieht dieser Art ständig das Gemeinschaftleben, denn das eigentliche
Erwerbstreben beansprucht im Wesentlichen nur die geringeren Kräfte der
schlauen Klugheit, der Wachsamkeit und Beweglichkeit, indem es jedoch
gleichzeitig neben etlicher Rücksichtlosigkeit und moralischer Skrupellosig-
keit andauernde Willensspannung voraussetzt und mithin alltägliche starke
Ermüdung bewirkt. Durch diese Art, die menschlichen Kräfte zu lenken und
zu bilden, unterscheidet es sich tief vom Machttrieb, der zu höheren Ersolgen
nur gelangt, wenn entweder eine maßlose und ungewöhnliche Willens-
kraft oder bedeutender Weitblick, Menschenkenntnis und tiefere Linsicht
ihm dazu verhelfen.

Wie nun zeitsressendes, leben- und atemraubendes Lrwerbstreben und
geisttötende Besitzgier von der Art der heute zum Krampf und zur Krankheit
gesteigerten, dem Anschein nach ein zwar Iahrtausende altes, dennoch zeit-
liches, nicht urtriebliches Kennzeichen menschlichen Lebens sind, so erscheint
die Hoffnung berechtigt, daß sie unter anderen Sternen der Lebensordnung
wieder schwinden werden. Wohl in demselben Maße wie Gemeinschafttrieb
sich verinnerlicht, Geltungtrieb sich versachlicht, Machttrieb sich vergeistigt,
dürften diese Motoren verzwecklichten Lebens wieder abgeschaltet werden.
Was heute verblendetem Blick als „ewiges" und allgemeinsam-alldurch-
waktendes Erbe, als nüchterne Rotwendigkeit oder als unentrinnbarer
Fluch des Menschengeschlechts erscheint, sinkt für freiere und weitere Be-
trachtung auf den Rang einer zeitlichen Verdammnis herab. Der Kampf

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