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Kunstwart und Kulturwart — 37,1.1923-1924

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Heft 1 (Oktoberheft 1923)
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Kuntze, Friedrich: Das Alkoholproblem: Betrachtungen über seine metaphysische, psychologische und soziologische Seite
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https://doi.org/10.11588/diglit.14439#0041

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dresen Turnierplatz der Trivialität überlassen, die sich eben gern einmal
gedruckt sähe. lind doch ist dies Problem des Schweißes der Edlen wert:
eine Sitte, die, durch Geschichte und Ethnographie verfolgbar, so tief in
der Menschennatur liegt, soviele Dichter begeistert hat und andererseits
so surchtbare, allgemein bekannte Folgen haben kann, muß mehr sein,
als eine, einfach durch Gesetz abstellbare alberne Gewohnheit. Irre ich
mich nicht sehr, so wird es mit der metaphysischen Seite des Alkoholpro--
blems einmal ebenso gehen, wie mit der des Problems der Geschlechts--
liebe. Auch dies Problem war ehemals sakrosankt, und sogar Schopen--
hauer, der erste, der hier Bresche legte (dem es beiläufig an persönlichem
Mute durchaus nicht gebrach), sand doch auch noch die Entschuldigung für
nötig, daß „die zu erwähnenden Spezialitäten in einem philosophischen
Werke seltsam figurieren möchten." Dagegen sehe man, welchen unge-
heueren Raum in philosophischen Verössentlichungen heute das Serual--
problem einnimmt. Was der Liebe recht ist, sei dem Weine billig,- auch
sein Problem weist, ebenso wie das Sexualproblem, in ungeahnte Tiesen
der Menschennatur. In diesem Sinne also — nicht in dem einer Streit-
schrift sür oder gegen — sei dieser Aufsatz gewagt.

Indem ich Euch nun, liebe Leser beider Kategorien, einlade, das Ober-
flächenhäutchen zu verlassen, und Euch einmal „jenseits von Gut und Böse"
zu begeben, verspreche ich nicht, bis in die untersten Gründe des Pro-
blems hinabzutauchen, denn das würde zu letzten Fragen der „Angelegt-
heit" (Beneke) und „Bestimmung" (Fichte) des Menschen überhaupt führen.
Nur von einigen metaphysischen, psychologischen und soziologischen Un-
terproblemen wollte ich ja handeln. Und zwar will ich zunächst reden von
der Psychologie der Alkoholgegner und Freunde, sowie
von der Rolle, die dem Alkoholgenuß und seinen Wirkungen in einer
allgemeinen Skonomie zukommt. Später, in einem zweiten Teil werde
ich dann die Metaphysik der Sache streifen. Einige Aufrichtigkeiten, die
dabei nach oben und unten abfallen werden, gehören zur Klarstellung der
Sache; ich kann sie also nicht verschweigen.

Bei dem geschworenen Alkoholgegner fällt zunächst dies aus,
daß er Fanatiker ist: er will den Alkoholgenuß vom Fusel bis zum
Steinberger Kabinett radikal ausrotten. Ich weiß, das Argument, das
hierfür bereitgehalten wird, ist dies: es fällt leicht, aus den Alkoholgenuß
radikal zu verzichten, schwer, ihn einzuschränken — bestimmten
Individuen, notabene. Dies ist nicht ganz neu, schon der alte Dr. Iohnson,
dieser Goliath der Philister, hat gesagt: „Herr, ich kann abstinent sein,
aber nicht mäßig." Doch, dies gilt nur für bestimmte, statistisch leicht fest-
stellbare Prozentsätze der Bevölkerung; was ist das seelische Motiv (über
das sittliche Recht wird nachher zu reden sein) für die Temperenzler, einen
Genuß, der bestimmten Menschen verhängnisvoll werden kann, allen zu
verbieten? Die „allgemeine Menschenliebe", das „große kosmische Wohl-
wollen", das als Grund angegeben werden könnte, ist ein so seltenes und
so ungemein schwach wirkendes Motiv, daß man wohl, in Anwendung
eines Schopenhauerschen Bildes, von ihm sagen kann, es gehe mit ihm,
wie mit den Gespenstern: ein jeder rede davon — und keiner habe sie ge-
sehen. Zur Erklärung einer so gewaltigen und einflußreichen Bewegung
wie der temperenzlerischen wird sich daher der Psycholog nach anderen
Bewegkräften umsehen müssen, die im Bnterbewußtsein wirken. Einen
Fingerzeig dafür gibt der Amstand, daß die meistsn, im öffentlichen Streit

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