KUNST UND NICHTKCNSTLER
Technik nicht Dinge auszudrücken wären, die
das Wort erschöpfend wiedergeben kann. Die
Künstler müssen in ihrem Schaffen eine Reihe
von Dingen rein mit dem Empfinden abmachen.
Paul Heyse erzählt eine sehr hübsche Anek-
dote, die er mit seinem Freunde Lenbach
erlebt hat und die ein Schlaglicht hierauf wirft.
Nach mehrfachen Bitten, einmal mit ihm in
die Pinakothek zu gehen und ihm nun wirklich
zu zeigen, was schön an den dort aufgehängten
Leinwänden sei, bequemte sich Lenbach dazu.
Wortlos führte er ihn von Bild zu Bild,
schweigend aus einem Saal in den andern.
Endlich, als sie vor einem Rubens standen,
platzte Lenbach heraus: „Schau Paul, dös is
gemoalt!“ Das war seine ganze Beurteilung
des Werkes.
Daß im übrigen Lenbach das tiefste Ver-
ständnis für die Kunstwerke der früheren Jahr-
hunderte hatte, zeigen seine eigenen Arbeiten.
Um ihre Schönheiten zu interpretieren, brauchte
er aber nicht das Wort, sondern den Pinsel.
Was im Kunstwerk genossen werden soll,
ist stets eine Art von Schönheit. Eine Schön-
heit, die der Künstler entdeckt hat und für die
er sich nun als Priester fühlt. Seine Mittel,
sich dem Nichtkünstler verständlich zu machen,
liegen außer in seiner Technik in der Natur-
nachahmung. Das Streben und Ringen, diese
Mittel möglichst souverän zu beherrschen, hat
zu einem Abwege geführt: der möglichst voll-
endeten Nachbildung der Natur. Das ist nicht
Kunst, sondern eine Art von Wissenschaft —
und Kunst und Wissenschaft, so oft sie auch
zusammen genannt werden, sind geschworene
Feinde und prinzipielle Gegensätze. Die Kunst
ist synthetisch: sie schafft und baut aus ein-
zelnen Elementen ein Ganzes zusammen. Die
Wissenschaft ist analytisch: sie untersucht, sie
zerlegt das Ganze und zeigt die Beschaffenheit
der einzelnen Teile. Das was also im Kunst-
werk die Kunst ausmacht, ist das persönlich
Empfundene und Erschaute, das der Künstler
in seine Schilderung hineinträgt. Der Künstler
schafft Kunstwerke, er ist schöpferisch tätig,
das Schaffen ist für ihn beseeligend. Es ist
seine Dornenkrone, daß diese Beseeligung
meistenteils nur solange reicht, wie er schafft.
Gerade für den ernsten Künstler bleibt zwischen
dem Erträumten und dem Erreichten immer noch
ein zu großer Rest, als daß er je eine volle
Befriedigung seinem Werke gegenüber fühlen
könnte. Diese Verwechslung eines unpersönlich
schildernden Naturalismus mit dem künstlerischen
Schaffen ist heute sehr verbreitet. Wir haben
viel mehr Abmaler als Maler. Es ist bezeich-
nend, daß gerade der künstlerischen Jugend,
die ästhetisch noch unklar um die Ausdrucks-
mittel ringt, das Abmalen oft als das höchste
Ziel erscheint.
Von Andreas Achenbach wird aus seinen
Lehrererfahrungen eine Geschichte erzählt, die
hierher paßt. Bei seiner Korrektur warf ihm
einer der Schüler den Vorwurf hin: „Ja, aber
das war in der Natur so“, worauf er sagte:
„Mein lieber junger Mann, der liebe Gott hat
die Natur gemacht und zwar sehr schön, aber
haben Sie schon je gehört, daß er Bilder ge-
malt und verkauft hätte?“ Für die weitver-
breitete Unklarheit inbezug auf die ästhetischen
Begriffe ist ein eklatanter Beweis jene fort-
während wiederholte Behauptung, die man jahr-
zehntelang hören und gedruckt überall lesen
konnte, daß die Schule von Fontainebleau mit
einer Rückkehr zur Natur ihre Kunst begründet
habe. Die Fontainebleauer haben gerade so
wenig und so viel wie jeder andere Künstler
mit der Natur zu tun, sie ist ihnen Ausdrucks-
mittel gewesen, mehr nicht; die von jedem von
ihnen höchst persönlich erschaute und em-
pfundene Schönheit haben sie geschildert. Wie
grundverschieden ist das „Schöne“ in den
Bildern von Corot, Rousseau und Millet! Das
Wort Schule von Fontainebleau ist deshalb
recht falsch — ein gemeinsamer Stil ist gar-
nicht vorhanden!
Eine weitere Erfahrung ist die, daß junge
Künstler in der Regel bedeutend bessere Studien
vor der Natur machen, als nachher die Werke,
dje sie daraus gestalten, selbst sind. Das
wechselt später. Je älter sie werden, desto
schlechter brauchen zwar nicht die Studien zu
werden, aber die Qualität ihrer ausgereiften
Kunstwerke wächst in den meisten Fällen über
die ihrer Studien hinaus.
Was ist denn nun die Schönheit, die das
einzig zu genießende am Kunstwerk sein soll?
Ja, das ist in jedem Kunstwerk etwas anderes.
Wie die Zeiten und wie die Menschen wechseln,
so haben die Objekte der Darstellung das, was
schön gefunden wurde und der Begriff der
Schönheit gewechselt. Jahrhundertelang war
der Begriff der Schönheit nicht zu trennen vom
Religiösen, wie bei den Griechen, in deren
Kunst sich die sonnig erhabene Auffassung ihrer
Religion malt, in der nicht der Mensch nach dem
Ebenbilde Gottes gedacht zu sein scheint, son-
dern die Götter idealisierte Menschen sind, wie
im ganzen christlichen Mittelalter oder auch in
der ostasiatischen Kunst Indiens, wo Buddha
und sein Kreis das darzustellende Objekt bilden.
Erst später kam mit dem Bedürfnis des Schmuckes
profaner Bauten und der Wohnungen auch die
Schilderung profaner Gegenstände oder auch
eine Schilderung der religiösen Gegenstände in
profaner Auffassung auf. Noch später kam
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Technik nicht Dinge auszudrücken wären, die
das Wort erschöpfend wiedergeben kann. Die
Künstler müssen in ihrem Schaffen eine Reihe
von Dingen rein mit dem Empfinden abmachen.
Paul Heyse erzählt eine sehr hübsche Anek-
dote, die er mit seinem Freunde Lenbach
erlebt hat und die ein Schlaglicht hierauf wirft.
Nach mehrfachen Bitten, einmal mit ihm in
die Pinakothek zu gehen und ihm nun wirklich
zu zeigen, was schön an den dort aufgehängten
Leinwänden sei, bequemte sich Lenbach dazu.
Wortlos führte er ihn von Bild zu Bild,
schweigend aus einem Saal in den andern.
Endlich, als sie vor einem Rubens standen,
platzte Lenbach heraus: „Schau Paul, dös is
gemoalt!“ Das war seine ganze Beurteilung
des Werkes.
Daß im übrigen Lenbach das tiefste Ver-
ständnis für die Kunstwerke der früheren Jahr-
hunderte hatte, zeigen seine eigenen Arbeiten.
Um ihre Schönheiten zu interpretieren, brauchte
er aber nicht das Wort, sondern den Pinsel.
Was im Kunstwerk genossen werden soll,
ist stets eine Art von Schönheit. Eine Schön-
heit, die der Künstler entdeckt hat und für die
er sich nun als Priester fühlt. Seine Mittel,
sich dem Nichtkünstler verständlich zu machen,
liegen außer in seiner Technik in der Natur-
nachahmung. Das Streben und Ringen, diese
Mittel möglichst souverän zu beherrschen, hat
zu einem Abwege geführt: der möglichst voll-
endeten Nachbildung der Natur. Das ist nicht
Kunst, sondern eine Art von Wissenschaft —
und Kunst und Wissenschaft, so oft sie auch
zusammen genannt werden, sind geschworene
Feinde und prinzipielle Gegensätze. Die Kunst
ist synthetisch: sie schafft und baut aus ein-
zelnen Elementen ein Ganzes zusammen. Die
Wissenschaft ist analytisch: sie untersucht, sie
zerlegt das Ganze und zeigt die Beschaffenheit
der einzelnen Teile. Das was also im Kunst-
werk die Kunst ausmacht, ist das persönlich
Empfundene und Erschaute, das der Künstler
in seine Schilderung hineinträgt. Der Künstler
schafft Kunstwerke, er ist schöpferisch tätig,
das Schaffen ist für ihn beseeligend. Es ist
seine Dornenkrone, daß diese Beseeligung
meistenteils nur solange reicht, wie er schafft.
Gerade für den ernsten Künstler bleibt zwischen
dem Erträumten und dem Erreichten immer noch
ein zu großer Rest, als daß er je eine volle
Befriedigung seinem Werke gegenüber fühlen
könnte. Diese Verwechslung eines unpersönlich
schildernden Naturalismus mit dem künstlerischen
Schaffen ist heute sehr verbreitet. Wir haben
viel mehr Abmaler als Maler. Es ist bezeich-
nend, daß gerade der künstlerischen Jugend,
die ästhetisch noch unklar um die Ausdrucks-
mittel ringt, das Abmalen oft als das höchste
Ziel erscheint.
Von Andreas Achenbach wird aus seinen
Lehrererfahrungen eine Geschichte erzählt, die
hierher paßt. Bei seiner Korrektur warf ihm
einer der Schüler den Vorwurf hin: „Ja, aber
das war in der Natur so“, worauf er sagte:
„Mein lieber junger Mann, der liebe Gott hat
die Natur gemacht und zwar sehr schön, aber
haben Sie schon je gehört, daß er Bilder ge-
malt und verkauft hätte?“ Für die weitver-
breitete Unklarheit inbezug auf die ästhetischen
Begriffe ist ein eklatanter Beweis jene fort-
während wiederholte Behauptung, die man jahr-
zehntelang hören und gedruckt überall lesen
konnte, daß die Schule von Fontainebleau mit
einer Rückkehr zur Natur ihre Kunst begründet
habe. Die Fontainebleauer haben gerade so
wenig und so viel wie jeder andere Künstler
mit der Natur zu tun, sie ist ihnen Ausdrucks-
mittel gewesen, mehr nicht; die von jedem von
ihnen höchst persönlich erschaute und em-
pfundene Schönheit haben sie geschildert. Wie
grundverschieden ist das „Schöne“ in den
Bildern von Corot, Rousseau und Millet! Das
Wort Schule von Fontainebleau ist deshalb
recht falsch — ein gemeinsamer Stil ist gar-
nicht vorhanden!
Eine weitere Erfahrung ist die, daß junge
Künstler in der Regel bedeutend bessere Studien
vor der Natur machen, als nachher die Werke,
dje sie daraus gestalten, selbst sind. Das
wechselt später. Je älter sie werden, desto
schlechter brauchen zwar nicht die Studien zu
werden, aber die Qualität ihrer ausgereiften
Kunstwerke wächst in den meisten Fällen über
die ihrer Studien hinaus.
Was ist denn nun die Schönheit, die das
einzig zu genießende am Kunstwerk sein soll?
Ja, das ist in jedem Kunstwerk etwas anderes.
Wie die Zeiten und wie die Menschen wechseln,
so haben die Objekte der Darstellung das, was
schön gefunden wurde und der Begriff der
Schönheit gewechselt. Jahrhundertelang war
der Begriff der Schönheit nicht zu trennen vom
Religiösen, wie bei den Griechen, in deren
Kunst sich die sonnig erhabene Auffassung ihrer
Religion malt, in der nicht der Mensch nach dem
Ebenbilde Gottes gedacht zu sein scheint, son-
dern die Götter idealisierte Menschen sind, wie
im ganzen christlichen Mittelalter oder auch in
der ostasiatischen Kunst Indiens, wo Buddha
und sein Kreis das darzustellende Objekt bilden.
Erst später kam mit dem Bedürfnis des Schmuckes
profaner Bauten und der Wohnungen auch die
Schilderung profaner Gegenstände oder auch
eine Schilderung der religiösen Gegenstände in
profaner Auffassung auf. Noch später kam
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