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Doering, Oskar: Albin Egger-Lienz
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0111
DAS LEBEN. ÖLGEMÄLDE ALBIN EGQER-LIENZ
ALBIN EGGER^LIENZ. VON Personen wie ihre Worte. Symbole der ewigen
DR. O. DOERING-DACHAU. Menschheitsgeschichte, wie sie von Anfang war
und sich vollzieht in Geburt, Kampf, Liebe,
An einem Sommerabend war es, die Arbeit und Tod bis heute und für immer.
Sonne war untergegangen, ein leichter Wind Welch ein Bild! Wie wenige Linien voll
hatte sich aufgemacht. Die Nordseewellen stiller Erhabenheit, voll wahrer, innerlicher
rauschten ans Ufer, weiß leuchtete ihr spritzender Größe. Dazu die gewaltigen einfachen Töne
Gischt. Auf der Düne, von wo der Blick über des Windes und der Rhythmus des rauschenden
das weite Meer schweifte, vor der Tür seines Wellenschlages. Das sind musikalische Ge-
niederen, sturmerprobten Hauses saß der präch- danken der Natur; nur die größten Genies, ein
tige alte Seebär, der mir Wohnung gegeben Beethoven, ein Wagner haben solche Urgewalt
hatte, sein ergrautes Weib neben ihm, und ich, in Thematen von erschütternder Einfachheit
ihnen lauschend. Denn wir waren gute Freunde nachgedacht, nachgeschaffen. Dies sind Formen,
geworden und hatten Vertrauen zueinander. Sie in denen die Natur malend und bildnerisch
aber erzählten mir von ihrem Leben, von ihren ihre leitenden Urgedanken darstellt. Schon
Schicksalen, von Freude und Leid. Und wie Dürer sprach von diesen, wer sie herauszureißen
sie sprachen, sank immer tiefer die Dämmerung verstünde, der hätte sie. Ihm selber war das
hernieder, unter uns rauschte das Meer, und beschieden, außer ihm nur Wenigen. Jene
über is jagte am Himmel das Gewölk. Mond wahrhaft monumentalen Wirkungen, die sich
und Sterne schimmerten, verhüllten sich und aus dem Ergreifen und der verständnisvollen
kamen wieder. Die Umrisse der beiden Ge- Wiedergabe der Schöpfungsgrundgedanken er-
stalten aber verschmolzen mit der Hütte, mit geben wie aus nichts anderem — wie klein
dem Boden. Und mir kam die Vorstellung, ist die Zahl der Künstler, denen es vergönnt
daß diese beiden Menschen keine Einzelwesen ist, sie zu erreichen! Aus unserer Zeit einem
mehr wären, und das, was sie zu erzählen Meunier, einem Rodin, Millet, in Deutschland
wußten, nicht die Geschichte dieser zwei mehr einem Egger-Lienz. Nicht etwa in Tirol,
sei — sie wurden Begriffe, Gleichnisse, ihre welches diesem Meister für seine Schöpfungen
DIE KUNSTWELT II, 2 gl
ALBIN EGGER^LIENZ. VON Personen wie ihre Worte. Symbole der ewigen
DR. O. DOERING-DACHAU. Menschheitsgeschichte, wie sie von Anfang war
und sich vollzieht in Geburt, Kampf, Liebe,
An einem Sommerabend war es, die Arbeit und Tod bis heute und für immer.
Sonne war untergegangen, ein leichter Wind Welch ein Bild! Wie wenige Linien voll
hatte sich aufgemacht. Die Nordseewellen stiller Erhabenheit, voll wahrer, innerlicher
rauschten ans Ufer, weiß leuchtete ihr spritzender Größe. Dazu die gewaltigen einfachen Töne
Gischt. Auf der Düne, von wo der Blick über des Windes und der Rhythmus des rauschenden
das weite Meer schweifte, vor der Tür seines Wellenschlages. Das sind musikalische Ge-
niederen, sturmerprobten Hauses saß der präch- danken der Natur; nur die größten Genies, ein
tige alte Seebär, der mir Wohnung gegeben Beethoven, ein Wagner haben solche Urgewalt
hatte, sein ergrautes Weib neben ihm, und ich, in Thematen von erschütternder Einfachheit
ihnen lauschend. Denn wir waren gute Freunde nachgedacht, nachgeschaffen. Dies sind Formen,
geworden und hatten Vertrauen zueinander. Sie in denen die Natur malend und bildnerisch
aber erzählten mir von ihrem Leben, von ihren ihre leitenden Urgedanken darstellt. Schon
Schicksalen, von Freude und Leid. Und wie Dürer sprach von diesen, wer sie herauszureißen
sie sprachen, sank immer tiefer die Dämmerung verstünde, der hätte sie. Ihm selber war das
hernieder, unter uns rauschte das Meer, und beschieden, außer ihm nur Wenigen. Jene
über is jagte am Himmel das Gewölk. Mond wahrhaft monumentalen Wirkungen, die sich
und Sterne schimmerten, verhüllten sich und aus dem Ergreifen und der verständnisvollen
kamen wieder. Die Umrisse der beiden Ge- Wiedergabe der Schöpfungsgrundgedanken er-
stalten aber verschmolzen mit der Hütte, mit geben wie aus nichts anderem — wie klein
dem Boden. Und mir kam die Vorstellung, ist die Zahl der Künstler, denen es vergönnt
daß diese beiden Menschen keine Einzelwesen ist, sie zu erreichen! Aus unserer Zeit einem
mehr wären, und das, was sie zu erzählen Meunier, einem Rodin, Millet, in Deutschland
wußten, nicht die Geschichte dieser zwei mehr einem Egger-Lienz. Nicht etwa in Tirol,
sei — sie wurden Begriffe, Gleichnisse, ihre welches diesem Meister für seine Schöpfungen
DIE KUNSTWELT II, 2 gl