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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 2.1912-1913

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Behl, Carl F. W.: Die Dichtung und die bildende Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.21776#0830

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D

IE DICHTUNG [UND DIE BIL- uns ist heute jener Grundgedanke, daß die
DENDE KUNST. VON DR. Verschiedenheit der Mittel der Künste auch eine
C F W BEHL Verschiedenheit ihres Ausdrucks bedinge, eine

unumstößliche Wahrheit. Wir erkennen die Be-
Seit anderthalb Jahrhunderten gehört uns schränkung der bildenden Kunst vor allem in
nun Lessings „Laokoon", jenes in seinen letzten ihrer Gebundenheit an einen Sinn. Daß sie
Gedanken ewig gültige Wunderwerk der Diffe- zur Schöpfung wie zur Vermittelung ihres Ein-
renzierung, das in einer schlichteren Epoche, druckes des Auges notwendig bedarf, darin
einem gerade erwachenden Kunstzeitalter als liegt ihre Begrenzung der Poesie gegenüber,
eine hellaufleuchtende Zauberfackel plötzliche der freiesten, am wenigsten gebundenen und
Klarheit verbreitet und alte lähmende Irrtümer
vernichtet hatte. Wohl erscheint uns das meiste
heute so selbstverständlich, daß wir die um-
wälzende Wirkung des „Laokoon" kaum noch zu
begreifen vermögen. Anderes ist längst als hin-
fällig erkannt worden wie die Beschränkung der
bildenden Kunst auf die Darstellung des Schönen.
Aber die Haupttat Lessings ist heute noch
wirksam wie am Tage des Erscheinens. Die
Verdammung der Formel „Ut pictura poesis",
die aus der mißverständlichen Ausbeutung
eines sehr geistreichen Aphorismus des Simo-
nides sich gebildet hatte. Dieser „griechische
Voltaire" nannte die Malerei eine stumme Poesie
und die Poesie eine redende Malerei. Ein-
fältige Geister nahmen das wörtlich, und nun
gaben die Dichter Zustandsschilderungen und
bemühten sich, Bilder aus Worten zu formen;
die bildenden Künstler hinwiederum suchten
ihre Werke beredt zu machen, indem sie Alle-
gorisches in sie hineingeheimnisten, das man
aus ihnen dann herauslesen sollte. So waren
nicht nur die Grenzen zwischen den Künsten
verwischt; es war ein sinnloser Rollenwechsel
eingetreten, und Bildwerke erfüllten die subalterne
Aufgabe der Buchstaben. Wir sind heute leicht
versucht, solche Verwirrung der Geister zu be-
lachen und Lessings Aufklärungstat zu
unterschätzen. Wie sehr sie vonnöten war, tut
uns aber eine Äußerung Goethes kund, der,
dem überwältigenden Eindrucke des „Laokoon"
in seinen Leipziger Jugendtagen nachspürend,
sagte: „Das solange mißverstandene ,Ut pictura
poesis' war auf einmal beseitigt; der Unterschied
der bildenden und Redekünste klar, die Gipfel
beider erschienen nun getrennt, wie nah ihre
Basen auch zusammenstoßen mußten". In diesen
Worten Goethes findet sich zugleich die An-
deutung jener tiefen inneren Verwandtschaft
der beiden Künste, die auch Lessing keineswegs
zu leugnen sich unterfing, und die durch die
Jahrhunderte hin eine stete gegenseitige Be-
fruchtung, eine immer wieder sich erneuernde
Wechselwirkung erzeugte. Wenn es hier unter-
nommen wird, den Zusammenhang von Dich-
tung und bildender Kunst aufzuschürfen, so ist
— dank dem „Laokoon" — die Gefahr einer
Grenzverwirrung nicht mehr zu befürchten. Denn silberoefaess theodor wende-darmstadt

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