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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Lorenz, Felix: Schwarz-weiss Kunst von heute
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SCHWARZ-WEISS-KUNSTVON HEUTE
Ein nicht unbeträchtlicher Teil des bilder-
betrachtenden Publikums ist erstaunlicher-
weise heute noch der Ansicht, daß die Zeichnung
innerhalb der malerischen Arbeit des Künstlers
immer ein bischen als Stiefkind zu behandeln
sei. Diese merkwürdige Meinung wäre nicht
merkwürdig, wenn man sie nur bei ausge-
sprochenen Banausen und Böotiern fände; nein,
es gibt auch recht kunstfrohe Menschen, die
für die farbige Darstellungskunst des Malers
ein höchst verständiges Auge offen haben und
die dabei gefühlsmäßig, gewissermaßen aus
Gleichgültigkeit, an der Zeichnung fast achtlos
vorüberlaufen, wenn sie nicht gerade eine
Illustration, also eine Erzählung ist. Sie können
sich „nichts draus machen" - - weil sie in das
farbige Element der Kunst zu sehr verliebt sind.

Das war nicht immer so. Namentlich in
Deutschland nicht. Von Chodowiecki an, über
die Romantiker, die Nazarener hinweg und bis
zu Krüger und Menzel blieb die Kunst des
Zeichnens fast ununterbrochen auf ihrem
Siegeszuge, trotzdem die Franzosen seit Courbet
die neuen Farben gebracht hatten. Erst mit
dem Vordringen des deutschen Impressionismus
mußte bei uns die Zeichnung kläglich im
Hintergrund verschwinden.

Die Künstler selbst also waren Schuld daran,
wenn die Genießenden sich nicht mehr recht
um die Schwarz-Weiß-Kunst kümmern wollten.
Die ganze Welt schrie, naturalistischer Wut
voll, nach Farbe, Farbe, Farbe. Und die wurde
denn auch in breiten Strömen ausgegossen.

So kam es, daß das Haus des Kunstfreundes,
einst offen für alle guten Gaben des Zeichners
und des Graphikers, von den Voreltern ge-
schmückt mit Silhouetten, Stahl- und Kupfer-
stichen, kolorierten Holzschnitten, Lithographien,
ein paar Jahrzehnte lang fast dem Triumph
der Farbe allein folgte. Neben der Farbe
aber hatte auch noch die ungeheure Entwick-
lung der Photographie für die Abnahme der
,,Schwarz-Weiß-Interessen" Sorge getragen.

Aber Herrschaft löst sich mit Herrschaft
auch in der Kunst ab. Heute, wo das Ge-
schrei nach der Überfarbigkeit mit der Missions-
erfüllung des Impressionismus verstummt ist,
beginnt, unbekümmert um die Südseeinsulaner-
Narreteien der Allerneuesten, die Kunst des
Zeichnens wieder ihre alte Geltung zu gewinnen.
Dessen laßt uns froh sein als einer Verkündung
neuen Gesundwerdens — denn in der Zeich-
nung, dem formgebenden Prinzip des Werkes,
muß ja trotz allen theoretischen Geflauses die
gesunde Basis jeder malerischen Kunstübung
gesucht werden. Die beinahe unübersehbare

Mannigfaltigkeit der graphischen Verfahren,
deren rapides Vorwärtsdringen einem wahren
Eroberungszug gleicht und durch die vor allem
Kunst in die breitesten Massen getragen wird,
öffnet auch dem Schwarz-Weiß-Blatt, der Studie,
der Skizze, dem intimeren Kleinwerk, aus einem
glücklichen Augenblick oder in nachdenklicher
Arbeitspause entstanden, wieder die Türen in
jedem Hause, die Wände und die Mappen.
Eine stolze Pionierarbeit ist da schon von den
verschiedensten Seiten geleistet worden, und
die Zukunft verheißt ziemlich klar, daß das Heil
mit in der Rückkehr zu einer echten Zeichner-
kunst liegen wird. Man wird sich die Ver-
gewaltigung der Formen nicht länger gefallen
lassen, man wird die Notwendigkeit eines
tüchtigen, künstlerischen Handwerks als der
ehrlichsten Grundlage jedes Könnens wieder
einsehen müssen, wie das die größten Meister
der Vergangenheit als selbstverständlich ein-
sahen, man wird in dem gezeichneten Blatt,
durch getreue Wiedergabe überallhin verbreitet,
wieder das einfachste und natürlichste Zeugnis
für die ganze Kunst des Mannes, der es machte,
erblicken. Noch fehlen uns neue Holbeine und
Dürer, die großen zeichnenden Repräsentanten
unserer neuen Zeit - - allein, wer sagt uns, daß
sie nicht kommen, dem, was uns heute bewegt,
einen zeitgemäßen Ausdruck zu geben?

Daß wir eine Schwarz-Weiß-Kunst haben,
die sich sehen lassen kann, sollte in diesem
Heft bewiesen werden, in dem wohl zum ersten
Male eine bedeutende Uebersicht über dieses
früheste und ewig fruchtbare Land der
Kunst gegeben wird. Die besten und feinsten
Künstler haben für diesen Zweck ihre Studien-
mappen geöffnet und Originalzeichnungen dar-
geboten; die „Kunstwelt" ist nicht wenig froh
darüber, ihren Lesern den köstlichen Schatz,
der da zusammengekommen ist, zeigen zu
können.

Welche Fülle an Gestaltung, an Namen, an
buntwechselnden Motiven! Das böse Wort
„Richtung" soll vermieden werden - - aber wir
sehen, daß alle künstlerischen Anschauungen
vertreten sind. Altersreife und Mannesstreben
nebeneinander, Künstler von ganz verschiedenen
Temperamenten, jeder anders in Auffassung und
Technik — und doch alle von der gemeinsamen
Lust und Freude an der Kunst des Zeichnens
erfüllt. Freuen wir uns, sagen zu können:
Deutschen Zeichnens!

Mit solchen Gütern sind wir doch auf dem
besten Wege zur Kunst der Zukunft das
kann Trost genug sein angesichts der halb
lächerlichen, halb horriblen Abirrungen, die auf
blauen Dunst gerichtet sind.

DIE KUNSTWELT III, 11

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