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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Zucker, Paul: Arthur Grunenberg: russische Ballet und andere Tanzbilder
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Woran Raffael gestorben ist
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0627

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ARTHUR GRUNENBERG: RUSSISCHES BALLET

die Bewegung noch nie eine gewisse Getragen-
heit. Ein olympisches Gleichmaß zwischen
Figur und Raum besteht, ein innerer Ausgleich
zwischen beiden, ein Gemeinsames ist vor-
handen. Organisches Lebensgefühl diktiert die
Bewegung, die immer irgendwie klassisch ab-
gerundet erscheint. Im vollkommenen Gegen-
satz hierzu steht Grunenbergs Art, Motive des
Tanzes zu gestalten. Bei ihm herrscht nicht
Bewegung, sondern Bewegtheit. Ruhe ist ihm
nicht ein Urzustand des Körpers, sondern be-
deutet ein Provisorium, Pause, Uebergangs-
stadium zwischen zwei verschiedenartigen Mo-
menten der Bewegung. Die Figur ist ohne
Beziehung zum Gesamtraum, sie durchschneidet,
bekämpft, überwindet ihn oder unterliegt
ihm, ist auf jeden Fall ein ihm Gegensätzliches.
Die Fokina als Tahor in „Cleopatra" bedeutet
eine Auseinandersetzung zwischen der ruhenden
Horizontale, die durch Arme und Schulter
bestimmt ist, und der federnden, von der Fuß-
spitze bis zum erhobenen Kopf hin durchge-
führten Vertikale, in ähnlicher Art, wie sie die
griechische Architektur zwischen Gebälkstück
und Säule darstellt. Man vergißt das Menschen-
hafte der Figur vollkommen, die Wiedergabe
eines bestimmten Individuums ist hierbei etwas
durchaus Sekundäres, — wesentlich erscheint
nur die in den beiden Grundtendenzen gege-
bene Abstraktion der Bewegung,

Die Tschernitschewa als Cleopatra schreitet,
eine Schale hebend, seitwärts: diese ganze
Bewegung, die in der ausspringenden Silhouette
des linken Fußes, der halbherausgedrehten
Hüfte, in den Händen, welche in starrem
rechten Winkel die Schale tragen, und dem
geneigten Haupte, dessen Profil parallel zur
Diagonale der Oberarme steht, in ihrer ganzen
Unruhe zum Ausdruck kommt - - diese ganze
Bewegung von mächigstem Impuls ist plötzlich
unterbrochen, gehemmt, wie abgehackt durch
den Anprall an eine imaginäre Felsenwand, —
eine durchgehende Vertikale in der rechten
Kontur des Körpers hebt alle diese Energien auf.

Beinahe jede der Einzelfiguren des russischen
Ballets ist als Abstraktion einer solchen orna-
mentalen Auseinandersetzung aufzufassen. So
kommt es auch, daß diese Tanzfiguren kaum
an Musik erinnern — sie sind in ihrer Art
viel zu sehr Selbstzweck, um gleichsam illustrativ
begleitend wirken zu können. Auch hier ein
Gegensatz zu Hofmann, dessen musikalische
Bedingtheit ohne weiteres ersichtlich ist, dessen
Darstellungen untrennbar von der Musik sind,
welche die Anregungen zu ihnen gab.

Auch die Pastelle Grunenbergs wirken nicht
als Genrebilder, die einen bestimmten Vorgang
darstellen wollen, sondern wie eine aus einer

Folge von Tanzbildern herausgehobene Einzel-
scene. Es ist etwas in ihnen, was gegen jeden
Naturalismus spricht, was ihnen den Anschein
der Unwirklichkeit, der Theaterluft verleiht -
ein bewußtes Unterstreichen des Spielerischen,
des Dekorativ-Ornamentalen. Nicht zuletzt
spricht hier die Pastelltechnik mit, die gleich-
sam unterbewußt in uns ganze Ketten zwangs-
läufiger Associationen an Rokokobilder wach-
ruft — und eine Atmosphäre der Distanz,
des Traumhaften schafft. Es ergeben sich zu-
weilen Farbenstellungen von höchster Noblesse
und großer, fast kunstgewerblich zu nennender
Feinheit. Auch die Bleistifttechnik und ent-
sprechend der Strich der Litographie zeigen
diese Aufgelöstheit und eine gewisse nervöse,
,,schaumhaft" zu nennende Art, welche die
wenigen bestimmenden Grundlinien der Struktur
des Körpers in umso größerer Deutlichkeit
hervortreten läßt. Selbst den Schwarz-Weiß-
zeichnungen ist so eine gewisse gedämpfte
Tonigkeit mit den Pastellen gemeinsam.

WORAN RAFFAEL GESTORBEN IST.
Am Karfreitag (6. April) des Jahres 1520 ist
Raffael Santi, der große Maler, nach kurzem
Krankenlager in Rom gestorben; er hat nur ein
Alter von 37 Jahren erreicht. Kurz vor seinem
Tode hatte er die berühmte „Transfiguration" (die
Verklärung Christi auf dem Berge Tabor) zu malen
begonnen. Papst Leo X. ließ das unvollendete
Bild (es wurde später von G. Romano zu Ende
geführt) am Sarge seines Lieblingsmalers öffentlich
ausstellen. Woran Raffael in so jungen Jahren ge-
storben ist, ist bisher niemals vollständig aufgeklärt
worden. Der bekannte Pariser Kunstforscher und
Arzt Dr. Cabanes hat jetzt aber in einer Mit-
teilung, die er dieser Tage in der Pariser Aca-
demie de Medecine machte, das Geheimnis der ganz
plötzlich zum Ausbruch gelangten Krankheit, die
den Sohn Urbinos in der Blüte seines Lebens und
seines "Ruhmes dahinraffte, zu durchdringen ge-
sucht. Vasari war der erste, der — ungefähr
dreißig Jahre nach dem Tode Raffaels — über den
Ursprung jener geheimnisvollen Krankheit einige
Nachrichten gab: „ . . . Während jener Zeit", heißt
es bei ihm, „fuhr Raffael fort, sich mit maßlosem
Eifer in den Strudel der Vergnügungen zu stürzen.
Nachdem er wieder einmal seinen Kräften zuviel
zugemutet hatte, kam er mit einem hitzigen Fieber,
dessen Ursachen er zu verbergen suchte, nach
Hause." Raffael arbeitete damals im Vatikan. Die
Aerzte, die zu Rate gezogen wurden verordneten
einen Aderlaß, der, da der Patient sehr schwach
war, die Krankheit nur verschlimmerte. Der Ge-
sandte des Herzogs von Ferrera in Rom schrieb
an seinen Herrn, daß der Künstler erst acht Tage
vor seinem Tode vom Fieber befallen worden sei.

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