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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Zeitler, Julius: Die königliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe zu Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0670

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DIE LEIPZIGER AKADEMIE

mit dem Hofmaler Fehling an der Spitze 1705
in Dresden errichtete, könnte man immerhin
eine Vorstufe der späteren Dresdener Akademie
nennen, doch war sie in Wirklichkeit, trotz
ihrem berühmten Mitglied, dem Hofporträtisten
Louis Silvestre, eine bloße Zeichenschule, die
mit dem Einsetzen der fridericianischen Kriege,
mit der Auflehnung Sachsens gegen den nörd-
lichen Nachbar, nur noch hindämmerte. In
rascher Folge aber geschahen nach Beendigung
des siebenjährigen Krieges Akademiebegrün-
dungen: Dresden und Leipzig 1764, Düsseldorf
176/, München 1770 und Kassel 1774; alle
wohl aus gleichen oder ähnlichen Impulsen.
Wenn auch unter diesen Akademien die
Leipziger für nicht geringe Strecken ganz be-
sonders stagnierte — tote oder wenigstens
lahme Strecken weist ja jede unserer Akademien
auf, so gehört doch ihre Gesamtentwicklung
zu den interessantesten, von der Hochkultur-
strömung ihrer Gründungszeit an bis zu dem
mächtigen Aufschwung in der unmittelbaren
Gegenwart. Für das 18. Jahrhundert hat sie
das reichste Leben, bringt sie es zum typischsten
Ausdruck, im 20. Jahrhundert ist sie eine
Pionieranstalt allerkräftigster und modernster
Kunst. Es ist charakteristisch, daß die Leipziger
die einzige deutsche Akademie ist, die mit
resolutestem Wesen jene Umbildung in sich
vollzog, die von den letzten Jahrzehnten ge-
bieterisch gefordert sind, und der sich später
jene akademischen Hochschulen unter einer
gewissen Ironie des Schicksals selbst nicht
entziehen konnten. Was bei den Universitäten
versäumt wurde, nämlich, daß sie sich die neu
entstehenden Polytechniken angliederten und
in sich einschmolzen, dieses Moment der ver-
paßten Gelegenheit bei dem Neuaufkommen
der Kunstgewerbeschulen seit den siebziger
Jahren hielt einzig die Leipziger Akademie von
sich fern; sie verknüpfte sich in ihrer Reform
aufs innigste mit dem kunstgewerblichen Unter-
richtsprinzip, sie vertiefte und spezialisierte es in
der Folge ins graphische und buchgewerbliche
hinein, und damit war sie in die glückliche
Lage versetzt, nicht nur die Konkurrenz der
Kunstgewerbeschulen nicht fürchten zu müssen,
wie es bei den Akademien doch heute mehr
oder weniger der Fall ist, sondern sogar in
erneuter frischer Jugendkraft sich in ihrem
Fache an ihre Spitze zu stellen. Denn so sehr
sich auch diese Kunstgewerbeschulen, diese
Lehranstalten an Kunstgewerbemuseen und
Staatsdruckereien etc. das buchgraphische Ge-
biet einzubezirken versuchten, die Leipziger
Akademie ist ihnen durch ihre Organisation
auf ihrem Felde durchaus überlegen, sie ist in
der Tat die erste und einzige Hochschule

des Buchgewerbes in Deutschland, sie ver-
einigt die sozial auszeichnende Höhe eines
akademischen Staatsinstituts auf ihrem Gebiete
mit der praktischsten und tiefsten Förderung
gewerblichen und künstlerischen Lebens. Sie
muß daher in Wirklichkeit nicht nur eigen-,
sondern auch einzigartig genannt werden. Und
mit ihrem Lebensprozeß ist sie so sehr in die
Zeit, in die Zukunft gestellt, daß sich, während
andere Institute mühsam den Anschluß nicht
zu verlieren suchen, ein unablässiger Ausbau
noch weiterhin in ihr vollzieht.

Wenn der innige Zusammenhang einer Aka-
demie mit der Stadt, in der sie wirkt, ausschlag-
gebend dafür sein soll, daß letztere eine Kunst-
stadt genannt wird, so müßte Leipzig allgemein
alseine solche bezeichnet werden. Denn wenn
die Mehrzahl der Akademien absolutistische
Gründungen waren, die von oben her auf die
Stadt aufgepfropft wurden in München z. B.
soll nach der Meinung vieler heute noch
zwischen der Kunstschicht und der Schicht des
Bürgertums eine nicht geringe Lücke klaffen

- die Leipziger trug von Anfang an einen
kunstgewerblichen Charakter, war tiefer in das
Leben und die Industrie ihrer Stadt hinein-
gebettet als jede andere. Die Leipziger Akademie
genoß damit im 18. Jahrhundert die Gunst der
glücklichsten Kulturumgebung, allerdings verlor
sie dann im 19. etwas die Führung, es dauerte
recht lange, bis sie sich aus der Stagnation
aufraffte und dem Mahnruf, der sich aus
dem Vorwärtsstürmen der Stadt immer lauter
an sie richtete, nachfolgte. Ebenso wie die
Begründung einem Friedensschluß folgte, dem
Hubertusburger Frieden, so setzte die Refor-
mation, die Reorganisation der Akademie un-
mittelbar nach der Beendigung des siegreichen
Krieges von 1870/71 ein. Es ist die Epoche
der Friedensjahre des Deutschen Reiches, in
der die Akademie ihren großen, ja unvergleich-
lichen Aufschwung genommen hat. Diese dritte
Epoche reiht sich in ebenbürtiger Weise der
Glanzzeit unter „Vater Oeser" an, ja, es kann
gesagt werden, daß die Blüte der Akademie
in der neueren Zeit in den vorangegangenen
Perioden kein Beispiel hat, sonst wäre sie ja
auch nicht vorangekommen.

Es muß noch der außerordentlich günstigen
Bedingungen gedacht werden, die Leipzig ge-
rade dieser Akademie und ihrer Gattung bot,
Bedingungen, die sich heute so ungemein
verstärkt haben. Leipzig, mit seiner alten
Universität, mit seinen Sammlungen, seinem
ausgebreiteten Handel, seinen Messen, hatte
als Buchhandelsstadt um die Mitte des 18. Jahr-
hunderts Frankfurt bereits vollständig aus dem
Felde geschlagen. Ein Hauptgrund dafür war

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