AMSTERDAMER EINDRÜCKE
Schatten, der warme Nachmittagssonnenschein über den
Dächern ist geblieben. Im Haag, im Mauritshuis hängt Ver-
meers Bild. Ihm gegenüber an der anderen Wand Reinbrandts
„Saul und David". Der helle Tag ist verschwunden; aus dem
Silber ist verhaltenes, mattglühendes Goldlicht geworden. Ein
dunkles Rot glüht daraus hervor: der Mantel Sauls. Grün,
Rot. Gold flammt ein Turban auf dem Haupte des Königs. Wie
rotes Feuer sprüht das Kleid Davids, das wie aus Tiefen her-
aufsteigt. Die schwermütigen Klänge seiner Harfe erfüllen,
durchfließen den Raum. Und vom tiefsten Schmerz überwältigt
verbirgt Saul sein umflortes Auge in den braunen Samt des
Vorhangs . . .
Wieder sind wir im Judenviertel, sehen die hohen,
schwarzen, rauchigen Häuser, die engen Gassen, die dunklen
Keller, Winkel und Höfe, drängen uns durch das bunte Men-
schengewoge, Dann stehen wir wie im Traum, regungslos.
Wie Schatten huschen Gestalten vorbei, spukhaft wird das Ge-
tümmel. Sekundenhaft löst sich daraus, vom ungewissen Däm-
merlicht umspielt, ein schwarzbärtiges, gramzerwühltes Gesicht,
dicht daneben ein bleicher, dunkellockiger, tiefrot gekleideter
Knabe. —
Noch dunkler ist es geworden. Ein letztes, ersterbendes
Abendlichtgefunkel verfängt sich in die tiefen Schatten. Wie
mattes Gold leuchtet es leise auf. Hier und dort ein gedämpftes
ausstellung der dakmstidtek künstler -
kolonie gartenbadbecher in silber
theodor wende-d armstadt
''on den großen, alten Meistern des 17. Jahr-
hunderts hielten van Goyen in seinen See-
bildern und Jan Vermeer in seiner „Ansicht
von Delft" und mehr noch in der köstlichen
Briefleserin des Amsterdamer Reichsmuseums
diese Stimmung fest, Die Poesie der feinen,
grauen Atmosphäre webt um ihre Bilder ihren
verklärenden Schimmer. Der Silberduft, der so
still und traumselig macht, war diesen Malern
das Lebenselement. Wenn man im heutigen
Delft umhergeht, auf den Brücken mit dem
feinen, weißgestrichenen Geländer steht, die
schattigen Kanäle entlangschlendert, vom Süd-
wall aus einen Bück auf das Gesamtbild wirft,
hat man immer noch den Eindruck einer
ruhigen, träumerischen Stadt, dem auch die
neueste Zeit nicht viel anhaben konnte. Es
weht noch jetzt dieselbe Luft, es ziehen noch
dieselben Wolken über die roten und blauen
Dächer, wie Vermeer sie in seinem Bilde fest-
hielt. Nur die Stadtmauern sind gefallen, und
ein einziges Tor ist noch erhalten. Aber der
helle, weite Himmel, die kühlen, silbrigen grosser leuchter in silber theodor wende-darmstadt
649
Schatten, der warme Nachmittagssonnenschein über den
Dächern ist geblieben. Im Haag, im Mauritshuis hängt Ver-
meers Bild. Ihm gegenüber an der anderen Wand Reinbrandts
„Saul und David". Der helle Tag ist verschwunden; aus dem
Silber ist verhaltenes, mattglühendes Goldlicht geworden. Ein
dunkles Rot glüht daraus hervor: der Mantel Sauls. Grün,
Rot. Gold flammt ein Turban auf dem Haupte des Königs. Wie
rotes Feuer sprüht das Kleid Davids, das wie aus Tiefen her-
aufsteigt. Die schwermütigen Klänge seiner Harfe erfüllen,
durchfließen den Raum. Und vom tiefsten Schmerz überwältigt
verbirgt Saul sein umflortes Auge in den braunen Samt des
Vorhangs . . .
Wieder sind wir im Judenviertel, sehen die hohen,
schwarzen, rauchigen Häuser, die engen Gassen, die dunklen
Keller, Winkel und Höfe, drängen uns durch das bunte Men-
schengewoge, Dann stehen wir wie im Traum, regungslos.
Wie Schatten huschen Gestalten vorbei, spukhaft wird das Ge-
tümmel. Sekundenhaft löst sich daraus, vom ungewissen Däm-
merlicht umspielt, ein schwarzbärtiges, gramzerwühltes Gesicht,
dicht daneben ein bleicher, dunkellockiger, tiefrot gekleideter
Knabe. —
Noch dunkler ist es geworden. Ein letztes, ersterbendes
Abendlichtgefunkel verfängt sich in die tiefen Schatten. Wie
mattes Gold leuchtet es leise auf. Hier und dort ein gedämpftes
ausstellung der dakmstidtek künstler -
kolonie gartenbadbecher in silber
theodor wende-d armstadt
''on den großen, alten Meistern des 17. Jahr-
hunderts hielten van Goyen in seinen See-
bildern und Jan Vermeer in seiner „Ansicht
von Delft" und mehr noch in der köstlichen
Briefleserin des Amsterdamer Reichsmuseums
diese Stimmung fest, Die Poesie der feinen,
grauen Atmosphäre webt um ihre Bilder ihren
verklärenden Schimmer. Der Silberduft, der so
still und traumselig macht, war diesen Malern
das Lebenselement. Wenn man im heutigen
Delft umhergeht, auf den Brücken mit dem
feinen, weißgestrichenen Geländer steht, die
schattigen Kanäle entlangschlendert, vom Süd-
wall aus einen Bück auf das Gesamtbild wirft,
hat man immer noch den Eindruck einer
ruhigen, träumerischen Stadt, dem auch die
neueste Zeit nicht viel anhaben konnte. Es
weht noch jetzt dieselbe Luft, es ziehen noch
dieselben Wolken über die roten und blauen
Dächer, wie Vermeer sie in seinem Bilde fest-
hielt. Nur die Stadtmauern sind gefallen, und
ein einziges Tor ist noch erhalten. Aber der
helle, weite Himmel, die kühlen, silbrigen grosser leuchter in silber theodor wende-darmstadt
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