GOTISCHER KOPF, STl'DIE
HERMANN GEHRI
ZEICHNERISCHE ERZIEHUNG UND
PINSELKUNST*) mm&mwe&mmmm
Mit Behagen sah ich vor ein paar Jahren
in Kyoto einem japanischen Straßenmaler zu,
der als Wanderkünstler sein ganzes Werkzeug
in bequemem Paket unterm Arm trug, die
offene Straße als Atelier und den Boden als
Staffelei benützte. Er kauerte nämlich am
Straßenrand nieder, packte Tuschreibestein,
Tusche, Pinsel, Wassernapf, rote Stempelfarbe
aus, entnahm einer Vorratsrolle einen Bogen
Papier, legte ihn auf den Boden, jede Ecke
*) Zu den Pinselzeichnungen von Hermann Gehii, die
wir in diesem Heft veröffentlichen, hat uns der Künstler selbst
diese anmutige Kunstplauderei, hinter der doch soviel• ernstes
Nachdenken liegt, zur Verfügung gestellt. D. Schriftl.
mit einem Steinchen beschwerend, damit sich
das Papier nicht wieder zusammenkrümmte,
rieb sich etwas Tusche und fing an.
Zunächst eine schöne fette Rübe mit naß-
hängenden Blättern. Dann auf weiteren Bogen
bald einen fröhlich dicken Hotei mit dem Speck-
bäuchlein, bald einen hockenden Reiter auf
einem Pferd mit Knickebeinen; Reiher im Schilf,
Fische, Bambus und sonstige landläufige Motive.
An irgendeiner Stelle beginnend, zog er rasch
und geschickt seine auswendig gelernten Formen
auf dem Papiere hin, wie wir etwa einen Tinten-
klecks oder verschüttetes Wasser auf dem Tisch
spazieren führen und zu Figuren auseinander-
zerren. Im Nu stand das Bild da. Den langen
Nagel des rechten kleinen Fingers als Rund-
DIE KUNSTWELT III, 21.
665
HERMANN GEHRI
ZEICHNERISCHE ERZIEHUNG UND
PINSELKUNST*) mm&mwe&mmmm
Mit Behagen sah ich vor ein paar Jahren
in Kyoto einem japanischen Straßenmaler zu,
der als Wanderkünstler sein ganzes Werkzeug
in bequemem Paket unterm Arm trug, die
offene Straße als Atelier und den Boden als
Staffelei benützte. Er kauerte nämlich am
Straßenrand nieder, packte Tuschreibestein,
Tusche, Pinsel, Wassernapf, rote Stempelfarbe
aus, entnahm einer Vorratsrolle einen Bogen
Papier, legte ihn auf den Boden, jede Ecke
*) Zu den Pinselzeichnungen von Hermann Gehii, die
wir in diesem Heft veröffentlichen, hat uns der Künstler selbst
diese anmutige Kunstplauderei, hinter der doch soviel• ernstes
Nachdenken liegt, zur Verfügung gestellt. D. Schriftl.
mit einem Steinchen beschwerend, damit sich
das Papier nicht wieder zusammenkrümmte,
rieb sich etwas Tusche und fing an.
Zunächst eine schöne fette Rübe mit naß-
hängenden Blättern. Dann auf weiteren Bogen
bald einen fröhlich dicken Hotei mit dem Speck-
bäuchlein, bald einen hockenden Reiter auf
einem Pferd mit Knickebeinen; Reiher im Schilf,
Fische, Bambus und sonstige landläufige Motive.
An irgendeiner Stelle beginnend, zog er rasch
und geschickt seine auswendig gelernten Formen
auf dem Papiere hin, wie wir etwa einen Tinten-
klecks oder verschüttetes Wasser auf dem Tisch
spazieren führen und zu Figuren auseinander-
zerren. Im Nu stand das Bild da. Den langen
Nagel des rechten kleinen Fingers als Rund-
DIE KUNSTWELT III, 21.
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