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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Erbstein, Ambros: Ost und West in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0357
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OST UND WEST IN DER KUNST

JEREMIAS. OELGEMAELDE ALBERT WEISSQERBER-MUENCHEN

heißen Sonnenstrahlen haben sie zerstört. Nicht borgenen Stoffen mit den goldenen Stickereien,
eine Linie ist wahr, nicht eine Oberfläche glatt, von den bunten Holzwaren, den Turbanen und
nicht eine Form genau. Da ungenaue Formen von den Gewändern? An allen Ecken und Enden
die Farben nicht beherrschen können, weil sie leuchten Farben. Sie scheinen nicht einem, son-
ihrem Griffe entgleiten, sehen auch die Farben dem allen Dingen gemeinsam zu gehören. Sie
aus, als ob sie durcheinander geronnen wären. glühen noch im Schatten und sterben erst lange
Solcherart verliert die Farbe den intellektuellen nach dem Untero-an»- der Sonne. Das ist ein
Wert, den ihr sonst die Form verleiht, und sie Stück des Lebens im Osten und so ist auch
beschreibt und schmückt auch nicht mehr; doch seine Kunst. Wenn wir unter den musivischen
sie gewinnt dabei ihren ursprünglichen, eingeborenen Kuppeln und Gewölben einer byzantinischen
Wert zurück, indem sie wieder nur zum Gefühl Kirche stehen, haben wir das gleiche Farbenspiel
allein spricht. im Zwielichte vor uns. Aus dem schwarzen
Im Bazar einer alten arabischen oder persi- Schatten des Hintergrundes leuchtet ein Gold
sehen Stadt strahlt uns im milden Dämmerlichte hervor, und karminrote und azurblaue Strahlen,
eine wundervolle Farbenpracht entgegen. Die die von den eingelegten Oberflächen der Heiligen-
Gassen und Wege sind bloß flüchtig ausgeschaufelte fi°;uren herstammen, schweben zitternd durch das
Durchgänge, die Läden gleichen sorglos gemachten gedämpfte Licht. Das ganze Innere der Kirche
Löchern, durch die meistens vergitterten Fenster ist eine traumhafte Farbenmelodie. Da die Säulen-
dringt ab und zu ein Sonnenstrahl, und der ganze gebälke, verzierten Gesimse und Architrave ihre
Bazar sieht wie eine Gruppe von Schmuggler- scharfen Umrisse längst verloren haben, wenn
höhlen aus, die mit Reichtümern aller Art voll- sie nicht durch halbkreisförmige Altarnischen und
gepfropft sind. Aber woher kommt die Farben- einfache, schwerfällige Bogen ganz verdrängt
pracht? Man weiß es nicht gleich. Von den wurden, sind für die Farben eigentlich keine
vielen Haufen der Teppiche, von den halb ver- Gegenstände da, die sie umkleiden und schmücken

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