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8. Gesetz und handeln.

Ver aus Italien zurückkommende Goethe hat die Belange seiner
eigenen Persönlichkeit zum Gesetz seines Lebens gemacht; dieses wird
wesentlich von innen bestimmt und geformt. Vas bedeutet allerdings nur
in einem beschränkten Zinn die Vernachlässigung und Abscheidung äußerer
Gesetzmäßigkeiten, vor der Trennung von Natur und Gott hat Goethe sich
gehütet; sie brauchte nicht zu erfolgen, denn im Bereich der Natur und des
Göttlichen hatte er allein Freiheit und Selbstbestimmung.
Vie geschichtlich-politische Gesetzmäßigkeit dagegen besteht für Goethe
nicht. Gr will ja gerade die zwischenmenschliche Auseinandersetzung ver-
meiden, weshalb er sich dem staatlich-politischen Bereich entzieht.
Vas Verhältnis zu Natur und Gott kann der Mensch in den meisten
Fällen selbst und allein bestimmen. Goethe kann sich mit der Natur be-
schäftigen und auseinandersetzen wann er will, dasselbe gilt für bas
Göttliche.
Ist diese Haltung folgerichtig die goethesche, so ist diejenige des preußi-
schen Menschen ebenso friderizianisch. ver preußische Mensch hat das Ge-
setz seines Lebens nicht in sich allein.
Vas Gesetz der goetheschen Persönlichkeit ist das einmalige Ergebnis
ihres Lebens, es besteht nicht vor und außer ihr. Vas Lebensgesetz des
friderizianischen Menschen ist nicht abhängig in seinem Bestand von dem
Dasein des Einzelnen. Es besteht, ehe der Mensch es zu seinem Gesetz macht,
vor und außer ihm, indem es Wesensbestandteil des staatlich-politischen
Raumes ist.
ver friderizianische Mensch aber hat nicht die Wahl zwischen Ableh-
nung oder Anerkennung dieses Gesetzes, sondern es wird ihm auferlegt,
ver Anspruch des Staates ist für den einzelnen Menschen verbindlich. Vas
politische Gesetz aber ist nicht starr, sondern es entspringt der geschichtlichen
Bewegung, die es formt.
Goethe empfindet ein solches Gesetz als Vergewaltigung des Indivi-
duums. Gr lehnt es nicht ab, weil ihm etwa die bedingungslose Unter-
stellung unter ein Gesetz zuwider wäre, sondern weil er es als ein fremdes,
ihm nicht zukommendes erkennt. Anspruch auf Gültigkeit kann nur das
der Persönlichkeit allein zukommende Gesetz haben. Vas preußische da-
gegen entspringt nicht jeweils einem Individuum, dessen Eigenrecht das
vordringlichste ist, sondern einer Gemeinsamkeit, die gegenüber dem Ein-
zelnen den Vorrang behauptet.
Vas Gesetz des goetheschen handelns stellt also eine Verlagerung vom
politischen Außen zum unpolitischen Innen dar.
Aufschlußreich für diese Zusammenhänge ist wiederum das Verhältnis
Goethes zu den großen Individuen. Für ihre Beurteilung ist nicht ein

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