Folge 30
„Der KrirpfSlzer*
Seite 5
Jungfer gemacht wurde, das ist das Wunderbare an der Sache!'
„Euer Enaden,' erwiderte Elke und sah den gütigen Ober-
beamten noch einmal mit ihren ernsten Augen an, .einem
rechten Manne wird auch die Frau wohl helfen dürfen!' Dann
ging fle in den anstoßenden Pesel und legte schweigend ihre
Hand in Hauke Haiens.
*M *
„Es war um mehrere Jahre spater: in dem kleinen Hause
Tode Haiens wohnte jetzt ein rüstiger Arbeiter mit Frau und
Kind; der junge Deichgraf Hauke Haien saß mit seinem Weibe
Elke Volkerts auf deren väterlicher Hofstelle. 2m Sommer
rauschte die gewaltige Esche nach wie vor am Hause; aber auf
der Bank, die jetzt darunter stand, sah man abends meist nur
die junge Frau, einsam mit einer häuslichen Arbeit in den
Händen; noch immer fehlte ein Kind in dieser Ehe; der Mann
aber hatte anderes zu tun, als Feierabend vor der Tür zu
Halten, denn trotz seiner früheren Mithilfe lagen aus des
Alten Amtsführung eine Menge unerledigter Dinge, an die
er auch derzeit zu rühren nicht für gut befunden hatte; jetzt
aber mußte allmählich alles aus dem Wege; er fegte mit einem
scharfen Besen. Dazu kam die Bewirtschaftung der durch seinen
eigenen Landbesitz vergrößerten Stelle, bei der er gleichwohl
den Kleinknecht noch zu sparen suchte; so sahen sich die beiden
Eheleute, außer am Sonntag, wo Kirchgang gehalten wurde,
meist nur bei dem von Hauke eilig besorgten Mittagessen und
beim Auf- und Niedergang des Tages; es war ein Leben fort-
gesetzter Arbeit, doch gleichwohl ein zufriedenes.
,^Dann kam ein störendes Wort in Umlauf. — Als von den
jüngeren Besitzern der Marsch- und Geestgemeinde eines Sonn-
tags nach der Kirche ein etwas unruhiger Trupp im Kruge
droben am Trünke festgedlieben war, redeten sie beim vierten
und fünften Glase zwar nicht über König und Regierung —
so hoch wurde damals noch nicht gegriffen —, wohl aber über
Kommunal- und Oberbeamte, vor allem aber über Gemeinde-
abgaben und -lasten, und je länger sie redeten, desto weniger
fand davon Gnade vor ihren Augen, insonders nicht die neuen
Deichlasten; alle Siele und Schleusen, die sonst immer gehalten
Hätten, seien jetzt reparaturbedürftig; am Deiche fänden sich
immer neue Stellen, die Hunderte von Karren Erde nötig
Hätten; der Teufel möchte die Geschichte Holen!
„Das kommt von eurem klugen Deichgrafen,' rief einer
von den Geestleuten, ,der imerr grübeln geht und seine Fänger
dann in alles steckt!'
„Ja, Marten,' sagte Ole Peters, der dem Sprecher gegen-
llbersaß! .recht hast du, er ist hinterspinnig und sucht beim
Oberdeichgraf sich 'nen weißen Fuß zu machen; aber wir Haben
ihn nun einmal!'
„Warum habt ihr ihn euch aufhucken lassen?' sagte der
andere; ,nun müßt ihr's bar bezahlen.'
,^le Peters lachte. ,Ia, Marten Fedders, das ist nun so
bei uns, und davon ist nichts abzukratzen: der alte wurde Deich-
graf von seines Vaters, der neue von seines Weibes wegen.'
Das Gelächter, das jetzt um den Tisch lief, zeigre, welchen Bei-
fall das geprägte Wort gefunden Hatte.
„Aber es war an öffentlicher Wirtstafel gesprochen wor-
den, es blieb nicht da, es lief bald um im Geest- und unten in
dem Marschdorf; so kam es auch an Hauke. Und wieder ging
vor seinem inneren Auge die Reihe übelwollender Gesichter
vorüber, und noch höhnischer, als es gewesen war, hörte er das
Gelächter an dem Wirtshaustische. ,Hunde!' schrie er, nud seine
Augen sahen grimmig zur Seite, als wolle er sie peitschen
lassen.
„Da legte Elke ihre Hand auf seinen Arm: ,Laß sie; die
wären alle gern, was du bist!'
— „Das ist es eben!' entgegnete er grollend.
„Und,' fuhr sie fort, Hat denn Ole Peters sich nicht selber
eingefreit?'
„Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite, das
reicht nicht zum Deichgrafen!'
— „Sag lieber: er reichte nicht dazu!' und Elks drehte
ihren Mann, so daß er sich im Spiegel sehen mußte, denn sie
standen zwischen den Fenstern in ihrem Zimmer. .Da steht der
Deichgraf!' sagte sie; ,nun sieh ihn an; nur wer ein Amt regie-
ren kann, der hat es!'
„Du hast nicht unrecht,' entgegnete er sinnend, .und doch...
Nun, Elke; ich muß zur Osterschleust; die Türen schließen wieder
nicht!'
„Sie drückte ihm die Hand: .Konrm, sieh mich erst einmal
an! Was hast du, deine Augen sehen so ins Weite?'
„Nichts, Elke; du hast ja recht.'
„Er ging; aber nicht lange war er gegangen, so war die
Schleusenreparatur vergessen. Ein anderer Gedanke, den er halb
nur ausgedacht und seit 2ahren mit sich umhergetragcn hatte,
der aber vor den drängenden Amtsgeschäften ganz zurückge-
treten war, bemächtigte sich seiner jetzt aufs neue und mächtiger
als je zuvor, als seien plötzlich die Flügel ihm gewachsen.
„Kaum daß er es selber wußte, befand er sich oben auf dem
Hafdeich, schon eine weite Strecke südwärts nach der Stadt zu;
das Dorf, das nach dieser Seite Hinauslag, war ihm zur Lin-
ken längst verschwunden; noch immer schritt er weiter, seine
Augen unablässig nach der Seeseite auf das breite Vorland
gerichtet; wäre jemand neben ihm gegangen, er hätte es seben
müssen, welche eindringliche Geistesarbeit hinter diesen Augen
vorging. Endlich blieb er stehen: das Vorland schwand Hier zu
einem schmalen Streifen an dem Deich zusammen. ,Es muß
gehen!' sprach er bei sich selbst. ,Sieben 2ahr im Amt; sie sol-
len nicht mehr sagen, daß ich nur Deichgraf bin von meines
Weibes wegen!'
„Noch immer stand er, und seine Blicke schweiften scharf
und bedächtig nach allen Seiten über das grüne Vorland; dann
ging er zurück, bis wo auch hier ein schmaler Streifen grünen
Weidelands die vor ihm liegende breite Landfläche ablöste.
Hart an dem Deiche aber schoß ein starker Meeresstrom durch
diese, der fast das ganze Vorland von dem Festlande trennte
und zu einer Hallig machte; eine rohe Holzbrücke führte nach
dort hinüber, damit man mit Vieh und Heu- und Getreide-
wagen hinüber und wieder zurück gelangen könne. 2etzt war
es Ebbzeit, und die goldene Septembersonne glitzerte auf dem
etwa hundert Schritte breiten Schlickstreifen und auf dem tie-
fen Priel in seiner Mitte, durch den auch jetzt das Meer noch
seine Wasser trieb. ,Das läßt sich dämmen!' sprach Hauke bei
sich selber, nachdem er diesem Spiele eine Zeitlang zugesehen;
dann blickte er auf, und von dem Deiche, auf dem er stand,
über den Priel Hinweg, zog er in Gedanken eine Linie längs
dem Rande des abgetrennten Landes, nach Süden herum und
ostwärts wiederum zurück über die dortige Fortsetzung des
Prieles und an den Deich Heran. Die Linie aber, welche er un-
sichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich, neu auch in der
Konstruktion seines Profiles, welches bis jetzt nur noch in sei-
nem Kopf vorhanden war.
„Das gäbe einen Koog von zirka tausend Demath, 'sprach
er lächelnd zu sich selber; .nicht groß just; aber . . .'
„Eine andere Kalkulation überkam ihn: das Vorland ge-
hörte hier der Gemeinde, ihren einzelnen Mitgliedern eine
Zahl von Anteilen, je nach der Größe ihres Besitzes im Ge-
meindebezirk oder nach sonst zu Recht bestehender Erwerbung;
er begann zusammenzuzählen, wieviel Anteile er von seinem,
wie viele er von Elkes Vater überkommen, und was an solchen
er wahrend seiner Ehe schon selbst gekauft hatte, teils in dem
dunklen Gefühle eines künftigen Vorteils, teils bei Vermeh-
rung seiner Schafzucht. Es war schon eine ansehnliche Menge;
denn auch von Ole Peters hatte er dessen sämtliche Teile ange-
kauft, da es diesem zum Verdruß geschlagen war. als bei einer
teilweisen Ueberströmung ihm sein bester Schafbock ertrunken
war. Aber das war ein seltsamer Unfall gewesen, denn so weit
Haukes Gedächtnis reichte, waren selbst bei hohen Fluten dort
nur die Ränder überströmt worden. Welch treffliches Weide-
und Kornland mußte es geben und von welchem Werte, wenn
das alles von seinem neuen Deich umgeben war! Wie ein
Rausch stieg es ihm ins Gehirn; aber er preßte die Nägel in
seine Handflächen und zwang seine Augen klar und nüchtern
zu sehen, was dort vor ihm lag: eine große deichlose Fläche, wer
wußte es, welchen Stürmen und Fluten schon in den nächsten
2ahren preisgegeben, an deren äußerstem Rande jetzt ein Trupp
von schmutzigen Schafen langsam grasend entlang wanderte;
dazu für ihn ein Haufen Arbeit, Kampf und Aerger! Trotz
alledem, als er vom Deich hinab und den Fußsteig über die
Fennen auf seine Werfte zuging, ihm war's, als brächte er
einen großen Schatz mit sich nach Hause.
„Auf dem Flur trat Elke ihm entgegen: ,Wie war es mit
der Schleuse?' frug sie.
„Er sah mit geheimnisvollem Lächeln auf sie nieder: ,Wir
werden bald eine andere Schleuse brauchen,' sagte er; ,und
Sielen und einen neuen Deich!'
„2ch versteh' dich nicht,' entgegnete Elke, während sie in
das Zimmer gingen: „was willst du, Hauke?'
„2ch will,' sagte er langsam und hielt dann einen Augen-
blick inne, sich will, daß das große Vorland, das unserer Hof-
statt gegenüber beginnt und dann nach Westen ausgeht, zu
einem festen Kooge eingedeicht werde: die hohen Fluten Haben
fast ein Menschenalter uns in Ruh' gelassen; wenn aber eine
von den schlimmen wiederkommt und den Anwuchs stört, so
kann mit einem Male die ganze Herrlichkeit zu Ende sein; nur
der alte Schlendrian hat das bis Heut' so lassen können!'
„Sie sah ihn voll Erstaunen an: ,So schiltst du dich ja sel-
ber!' sagte sie.
(Fortsetzung folgt.)
„Der KrirpfSlzer*
Seite 5
Jungfer gemacht wurde, das ist das Wunderbare an der Sache!'
„Euer Enaden,' erwiderte Elke und sah den gütigen Ober-
beamten noch einmal mit ihren ernsten Augen an, .einem
rechten Manne wird auch die Frau wohl helfen dürfen!' Dann
ging fle in den anstoßenden Pesel und legte schweigend ihre
Hand in Hauke Haiens.
*M *
„Es war um mehrere Jahre spater: in dem kleinen Hause
Tode Haiens wohnte jetzt ein rüstiger Arbeiter mit Frau und
Kind; der junge Deichgraf Hauke Haien saß mit seinem Weibe
Elke Volkerts auf deren väterlicher Hofstelle. 2m Sommer
rauschte die gewaltige Esche nach wie vor am Hause; aber auf
der Bank, die jetzt darunter stand, sah man abends meist nur
die junge Frau, einsam mit einer häuslichen Arbeit in den
Händen; noch immer fehlte ein Kind in dieser Ehe; der Mann
aber hatte anderes zu tun, als Feierabend vor der Tür zu
Halten, denn trotz seiner früheren Mithilfe lagen aus des
Alten Amtsführung eine Menge unerledigter Dinge, an die
er auch derzeit zu rühren nicht für gut befunden hatte; jetzt
aber mußte allmählich alles aus dem Wege; er fegte mit einem
scharfen Besen. Dazu kam die Bewirtschaftung der durch seinen
eigenen Landbesitz vergrößerten Stelle, bei der er gleichwohl
den Kleinknecht noch zu sparen suchte; so sahen sich die beiden
Eheleute, außer am Sonntag, wo Kirchgang gehalten wurde,
meist nur bei dem von Hauke eilig besorgten Mittagessen und
beim Auf- und Niedergang des Tages; es war ein Leben fort-
gesetzter Arbeit, doch gleichwohl ein zufriedenes.
,^Dann kam ein störendes Wort in Umlauf. — Als von den
jüngeren Besitzern der Marsch- und Geestgemeinde eines Sonn-
tags nach der Kirche ein etwas unruhiger Trupp im Kruge
droben am Trünke festgedlieben war, redeten sie beim vierten
und fünften Glase zwar nicht über König und Regierung —
so hoch wurde damals noch nicht gegriffen —, wohl aber über
Kommunal- und Oberbeamte, vor allem aber über Gemeinde-
abgaben und -lasten, und je länger sie redeten, desto weniger
fand davon Gnade vor ihren Augen, insonders nicht die neuen
Deichlasten; alle Siele und Schleusen, die sonst immer gehalten
Hätten, seien jetzt reparaturbedürftig; am Deiche fänden sich
immer neue Stellen, die Hunderte von Karren Erde nötig
Hätten; der Teufel möchte die Geschichte Holen!
„Das kommt von eurem klugen Deichgrafen,' rief einer
von den Geestleuten, ,der imerr grübeln geht und seine Fänger
dann in alles steckt!'
„Ja, Marten,' sagte Ole Peters, der dem Sprecher gegen-
llbersaß! .recht hast du, er ist hinterspinnig und sucht beim
Oberdeichgraf sich 'nen weißen Fuß zu machen; aber wir Haben
ihn nun einmal!'
„Warum habt ihr ihn euch aufhucken lassen?' sagte der
andere; ,nun müßt ihr's bar bezahlen.'
,^le Peters lachte. ,Ia, Marten Fedders, das ist nun so
bei uns, und davon ist nichts abzukratzen: der alte wurde Deich-
graf von seines Vaters, der neue von seines Weibes wegen.'
Das Gelächter, das jetzt um den Tisch lief, zeigre, welchen Bei-
fall das geprägte Wort gefunden Hatte.
„Aber es war an öffentlicher Wirtstafel gesprochen wor-
den, es blieb nicht da, es lief bald um im Geest- und unten in
dem Marschdorf; so kam es auch an Hauke. Und wieder ging
vor seinem inneren Auge die Reihe übelwollender Gesichter
vorüber, und noch höhnischer, als es gewesen war, hörte er das
Gelächter an dem Wirtshaustische. ,Hunde!' schrie er, nud seine
Augen sahen grimmig zur Seite, als wolle er sie peitschen
lassen.
„Da legte Elke ihre Hand auf seinen Arm: ,Laß sie; die
wären alle gern, was du bist!'
— „Das ist es eben!' entgegnete er grollend.
„Und,' fuhr sie fort, Hat denn Ole Peters sich nicht selber
eingefreit?'
„Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite, das
reicht nicht zum Deichgrafen!'
— „Sag lieber: er reichte nicht dazu!' und Elks drehte
ihren Mann, so daß er sich im Spiegel sehen mußte, denn sie
standen zwischen den Fenstern in ihrem Zimmer. .Da steht der
Deichgraf!' sagte sie; ,nun sieh ihn an; nur wer ein Amt regie-
ren kann, der hat es!'
„Du hast nicht unrecht,' entgegnete er sinnend, .und doch...
Nun, Elke; ich muß zur Osterschleust; die Türen schließen wieder
nicht!'
„Sie drückte ihm die Hand: .Konrm, sieh mich erst einmal
an! Was hast du, deine Augen sehen so ins Weite?'
„Nichts, Elke; du hast ja recht.'
„Er ging; aber nicht lange war er gegangen, so war die
Schleusenreparatur vergessen. Ein anderer Gedanke, den er halb
nur ausgedacht und seit 2ahren mit sich umhergetragcn hatte,
der aber vor den drängenden Amtsgeschäften ganz zurückge-
treten war, bemächtigte sich seiner jetzt aufs neue und mächtiger
als je zuvor, als seien plötzlich die Flügel ihm gewachsen.
„Kaum daß er es selber wußte, befand er sich oben auf dem
Hafdeich, schon eine weite Strecke südwärts nach der Stadt zu;
das Dorf, das nach dieser Seite Hinauslag, war ihm zur Lin-
ken längst verschwunden; noch immer schritt er weiter, seine
Augen unablässig nach der Seeseite auf das breite Vorland
gerichtet; wäre jemand neben ihm gegangen, er hätte es seben
müssen, welche eindringliche Geistesarbeit hinter diesen Augen
vorging. Endlich blieb er stehen: das Vorland schwand Hier zu
einem schmalen Streifen an dem Deich zusammen. ,Es muß
gehen!' sprach er bei sich selbst. ,Sieben 2ahr im Amt; sie sol-
len nicht mehr sagen, daß ich nur Deichgraf bin von meines
Weibes wegen!'
„Noch immer stand er, und seine Blicke schweiften scharf
und bedächtig nach allen Seiten über das grüne Vorland; dann
ging er zurück, bis wo auch hier ein schmaler Streifen grünen
Weidelands die vor ihm liegende breite Landfläche ablöste.
Hart an dem Deiche aber schoß ein starker Meeresstrom durch
diese, der fast das ganze Vorland von dem Festlande trennte
und zu einer Hallig machte; eine rohe Holzbrücke führte nach
dort hinüber, damit man mit Vieh und Heu- und Getreide-
wagen hinüber und wieder zurück gelangen könne. 2etzt war
es Ebbzeit, und die goldene Septembersonne glitzerte auf dem
etwa hundert Schritte breiten Schlickstreifen und auf dem tie-
fen Priel in seiner Mitte, durch den auch jetzt das Meer noch
seine Wasser trieb. ,Das läßt sich dämmen!' sprach Hauke bei
sich selber, nachdem er diesem Spiele eine Zeitlang zugesehen;
dann blickte er auf, und von dem Deiche, auf dem er stand,
über den Priel Hinweg, zog er in Gedanken eine Linie längs
dem Rande des abgetrennten Landes, nach Süden herum und
ostwärts wiederum zurück über die dortige Fortsetzung des
Prieles und an den Deich Heran. Die Linie aber, welche er un-
sichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich, neu auch in der
Konstruktion seines Profiles, welches bis jetzt nur noch in sei-
nem Kopf vorhanden war.
„Das gäbe einen Koog von zirka tausend Demath, 'sprach
er lächelnd zu sich selber; .nicht groß just; aber . . .'
„Eine andere Kalkulation überkam ihn: das Vorland ge-
hörte hier der Gemeinde, ihren einzelnen Mitgliedern eine
Zahl von Anteilen, je nach der Größe ihres Besitzes im Ge-
meindebezirk oder nach sonst zu Recht bestehender Erwerbung;
er begann zusammenzuzählen, wieviel Anteile er von seinem,
wie viele er von Elkes Vater überkommen, und was an solchen
er wahrend seiner Ehe schon selbst gekauft hatte, teils in dem
dunklen Gefühle eines künftigen Vorteils, teils bei Vermeh-
rung seiner Schafzucht. Es war schon eine ansehnliche Menge;
denn auch von Ole Peters hatte er dessen sämtliche Teile ange-
kauft, da es diesem zum Verdruß geschlagen war. als bei einer
teilweisen Ueberströmung ihm sein bester Schafbock ertrunken
war. Aber das war ein seltsamer Unfall gewesen, denn so weit
Haukes Gedächtnis reichte, waren selbst bei hohen Fluten dort
nur die Ränder überströmt worden. Welch treffliches Weide-
und Kornland mußte es geben und von welchem Werte, wenn
das alles von seinem neuen Deich umgeben war! Wie ein
Rausch stieg es ihm ins Gehirn; aber er preßte die Nägel in
seine Handflächen und zwang seine Augen klar und nüchtern
zu sehen, was dort vor ihm lag: eine große deichlose Fläche, wer
wußte es, welchen Stürmen und Fluten schon in den nächsten
2ahren preisgegeben, an deren äußerstem Rande jetzt ein Trupp
von schmutzigen Schafen langsam grasend entlang wanderte;
dazu für ihn ein Haufen Arbeit, Kampf und Aerger! Trotz
alledem, als er vom Deich hinab und den Fußsteig über die
Fennen auf seine Werfte zuging, ihm war's, als brächte er
einen großen Schatz mit sich nach Hause.
„Auf dem Flur trat Elke ihm entgegen: ,Wie war es mit
der Schleuse?' frug sie.
„Er sah mit geheimnisvollem Lächeln auf sie nieder: ,Wir
werden bald eine andere Schleuse brauchen,' sagte er; ,und
Sielen und einen neuen Deich!'
„2ch versteh' dich nicht,' entgegnete Elke, während sie in
das Zimmer gingen: „was willst du, Hauke?'
„2ch will,' sagte er langsam und hielt dann einen Augen-
blick inne, sich will, daß das große Vorland, das unserer Hof-
statt gegenüber beginnt und dann nach Westen ausgeht, zu
einem festen Kooge eingedeicht werde: die hohen Fluten Haben
fast ein Menschenalter uns in Ruh' gelassen; wenn aber eine
von den schlimmen wiederkommt und den Anwuchs stört, so
kann mit einem Male die ganze Herrlichkeit zu Ende sein; nur
der alte Schlendrian hat das bis Heut' so lassen können!'
„Sie sah ihn voll Erstaunen an: ,So schiltst du dich ja sel-
ber!' sagte sie.
(Fortsetzung folgt.)