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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

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Henrich, Fritz-Walter: Der Heilige
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https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0110

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die alten Herrschaften, die selbst im Sommer viel Sonne ertragen konnten, auf
den Bänken weiter, um die Hausecke herum, und folgten so der Sonne, bis es
Abend wurde. Sobald ein kühler Wind vom schon dämmrigen Tal über
Wiesen und Felder heraufwehte, erhoben sich die alten Männer mit Mühe von
ihren Plätzen und gingen müde und langsam, Schritt für Schritt der Reihe
nach — nie gleichzeitig — in das Haus und fanden sich dort in der Küche zu-
sammen, wo sie sonst, bei Regen und Kälte, schweigend beieinander sitzend den
Tag verbrachten.
In der niedrigen, dunklen Küche war der Steinplattenboden stets sauber
gefegt. In der Nähe der beiden Fenster, die der Raum hatte, stand ein großer
runder Tisch. Für jeden der alten Männer dampfte da eine Schüssel mit
Suppe und lag ein plumper Löffel aus Zinn bereit.
Einer der Männer war nicht mit draußen gewesen, sondern hatte den
ganzen Tag über gearbeitet für sie, — die Küche, die Schlafstube und den
Hausgang geputzt, geschruppert und gefegt. Er hatte das Essen bei reichen
Bauern und Borräte beim Pfarrer im Dorf geholt, gekocht und den Tisch
gedeckt. Er stand nun vor ihnen, die sich mühsam auf ihren von des müden
Leibes Last gekrümmten Beinen hielten, und sprach ein kurzes Gebet. Dann
setzten sich alle hin und aßen ruhig und bedächtig. Nur einige zitterten mit
den gichtigen Händen und verschlapperten die Suppe aus dem Lössel. Andere
hatten Mühe, die Nahrung im zahnlosen, ungehorsamen Munde zu behalten
und über die stumpfgewordene Zunge in die Kehle zu bringen.
Allen, die bei der Ausnahme der dünnen Kost verzagten, half der. welcher
gebetet hatte. Er war ein großer, spindeldürrer Kerl, ganz ohne Kopfhaare
oder Bart und hatte eigentümlich schlenkernde Bewegungen in seinen langen
Armen und schmalen Händen. Dabei hielt er stets den Leib stark eingezogen
und die Brust gewölbt, als ob er tief atmen würde. In gelbgrünem Gesicht
hatte er eine breite Stumpsnase und merkwürdig glasige Augen, als ob er
früher viel getrunken hätte. Eine rotunterlaufene Schramme zog über die
niedere Stirn, die von Runzeln und Falten kreuz und quer durchfurcht war.
Wer diesen Mann beobachtete, bemerkte an ihm eine seltsam stille, ge-
schäftige Heiterkeit, die sein Wesen mit einem Schein zurückgehaltener, mön-
chischer Frommheit umgab. Seinen dicklippigen Mund umspielte ein Lächeln
wie das der Glückseligen, die keinen Wunsch mehr auf der Erde haben und
sich kindlich freuen, immer noch das Leben Tag für Tag als ein reiches Ge-
schenk des Himmels zu erhalten.
Er war älter als die anderen Männer. Da er nie etwas erzählt hatte,
wußte niemand, woher er gekommen war.
Sobald einer seine Suppe gegessen hatte, nahm er ihm die Schüssel und
den Lössel weg und legte eine Gabel vor ihn hin. Als der letzte der Männer
fertig war, brachte er eine große Schüssel mit Gemüse und stellte sie in die
Mitte des Tisches. Ieder aß nun die Stelle in der Schüssel ab, die ihm am
nächsten war. Es kam eher vor, daß etwas übrig blieb, als daß sie sich um
den Rest stritten. ^
Seit der Heilige, wie sie den sonderbaren Menschen, der für sie alle sorgte,
nannten, bei ihnen war, war kein Bewohner des Hauses mehr gestorben. Das
erschien den alten Männern doch seltsam, je mehr Iahre vergingen.

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